Humorkritik | März 2014

März 2014

Satiriker R. Lorenzen

Mit dem Schriftsteller Rudolf Lorenzen (1922–2013) ist ein ewiger Geheimtip der deutschen Nachkriegsliteratur gestorben, und neben dem stetigen, teils unglücklichem Timing geschuldeten Mißerfolg beim Publikum (Lorenzens erster Roman erschien parallel zur »Blechtrommel«) hat daran die Opposition zur Gschaftlhuberei der »Gruppe 47« Anteil. »Es gibt für den Schriftsteller heutzutage drei Probleme. Erstens: Wie kommt er zu Ruhm? Zweitens: Wie kommt er zu Geld? Drittens: Wie tarnt er seine Absichten, zu Ruhm und zu Geld zu kommen? Für die Lösung des dritten Problems erfand er das Thema ›Die Verantwortung des Schriftstellers‹. Er erfand zur Lösung des dritten Problems auch die literarische Verbindung. Im Dunstkreis solcher Vereinigungen wirkt der Dichter heute noch hehrer, noch losgelöster von Sucht nach Ruhm und Geld, noch mehr seinen höheren Zielen zugewandt, noch mehr seiner Sendung bewußt. Denn nichts achtet unsere Gesellschaft an einem Dichter mehr als seine Zugehörigkeit zu einer Verbindung. Sie ist ein Zusammenschluß, der in unserer Zeit überholt ist, sie ist eine literarische Pfadfindergruppe, die Burschenschaft des Dichters. Sie ist ein Anachronismus und deshalb von so großer Wirkung auf die Gesellschaft.«

Die Einsicht stammt aus Lorenzens zweitem Roman »Die Beutelschneider« (1962, Neuausgabe 2007 im Verbrecher Verlag) über eine Reklameagentur der Adenauerjahre, und es ist ein interessanter Zufall, daß in Lorenzens Todesjahr Erich Kästners »Fabian« in seiner ursprünglichen, ungekürzten Textgestalt und unter dem vom Autor vorgesehenen Titel (»Der Gang vor die Hunde«, Atrium) erschienen ist. Lorenzens kühle Angestellten- und Wirtschaftswundersatire erschien mir nämlich wie die aktualisierte, invertierte Version von Kästners empathiesattem Arbeitslosen- und Krisenroman: Wo es sich bei Jakob Fabian, »Propagandist« auch er, um einen (nach Benjamins auf Kästner gemünztem Vorwurf) apathischen Linksmelancholiker handelt, ist Bruno Sawatzki, der Held der »Beutelschneider«, ein gesunder Zyniker. Und während Kästners Berlin der Depression von Betrogenen wimmelt, wird Lorenzens süddeutsche Wohlstandsprovinz von Betrügern bewohnt, Beutelschneidern aller Alters- und Einkommensstufen, deren selbstgewisse Durchstechereien sich zu einer Satire verarbeitet finden, die noch ärger unter ihrer Mustergültigkeit leidet als der neusachliche Klassiker.

Denn während Fabian noch »Moralist« war, dessen verzweifelte Ratlosigkeit eine gewisse Wärme abstrahlt, inszeniert Lorenzen seinen satirischen Durchblick als kalten Triumph, was, gerade wenn der Durchblick auch leserseits vorausgesetzt werden kann, etwas Bescheidwisserisches, sogar Aufdringliches, jedenfalls Steriles hat. Der formale Aplomb verstärkt das noch: stur servierte Running Gags, arg beredte oder sonstwie juxige Namen, wenn Sekretärinnen Motz, Schöni oder Grübel heißen, die Hämemischung aus Äquidistanz und Kurzsatz und das Kästnersche Stilerbe des neunmalklugen Figurenräsonnements: »›Wenn ich Psychiater wäre‹, sagte Sawatzki, ›würde ich meinen Patienten Schreibtische verordnen. Progressive Paralyse? Schreibtisch zwei mal ein Meter, afrikanischer Birnbaum; bei Ideenflucht plus fünfzig Zentimeter Ausziehplatte … Bei Kassenpatienten genügt gemeine Buche. Empfohlener Beruf: Werbetexter.‹«

Wer leicht friert, mit Lorenzen aber trotzdem warm werden will, dem empfehle ich sein merklich wohliger temperiertes Debüt »Alles andere als ein Held«, in dem er sich, einem Kleinbürger von Großdeutschland in die BRD folgend, auf das satirische Potential erzählerischer Kühle verläßt, ohne den Effekt durch artistische Beflissenheit zu vergröbern. Und dadurch nämlich zu verderben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg