Humorkritik | September 2013

September 2013

Komikwissenschaft

Natürlich ist den Herausgebern Günter Häntzschel, Sven Hanuschek und Ulrike Leuschner klar, wie heikel ihr Unterfangen ist, mit Band 8 von »treibhaus«, dem »Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre« (edition text + kritik), einen zu »Komik, Satire, Groteske« vorzustellen, »handelt es sich doch mindestens bei Komik und Groteske um einen der auch methodisch schwierigsten Gegenstandsbereiche der Literaturwissenschaft. Die meisten komiktheoretischen Erklärungsversuche, die plausibel ausfallen, befinden sich auf einem so hohen Abstraktionsniveau, daß sie für alles oder nichts gelten«.

Als bedürfe es eines Beweises für diese selbstkritische These, findet sich denn auch in ihrem Werk vorbildlicher Wissenschaftsjargon à la »die im ›methodischen Inventionismus‹ zutage tretende Tendenz zur Distanzierung der eigenen sprachlich-kulturell vermittelten Identität konvergiert mit jenen [sic!] im gleichen Jahr 1954 im Coolen Manifest niedergelegten Bekenntnis zu einem fundamentalen ethisch-ästhetischen Relativismus.« Genau. Bzw. ähnlich elegant: »Die Economy of Research von Charles Sanders Peirce legt eine Differenzierung zwischen konventionalen Normen und dem Ökonomieprinzip als normierendes Leitprinzip der abduktiven Weltaneignung nahe.« Schreibt Horst Waggershauser in seinem Beitrag »über den tödlichen humor der Wiener Gruppe«, und illustriert damit, warum die philologische Beschäftigung mit Komik ihrerseits oft allenfalls unfreiwillig komisch ist.

Darüber hinaus bietet der umfangreiche Band aber überwiegend Belege, daß es auch anders geht, daß man nämlich wissenschaftlich gehaltvoll und dennoch lesbar schreiben kann. Susanne Lubers Aufsatz über »Fug und Unfug in Donald-Duck-Geschichten der fünfziger Jahre«, Volker Jehles Abriß der Beziehung zwischen »Hildesheimer und Loriot« oder Sophia Weges »Always look on the bright side of life. Kognitive Komik in Arno Schmidts ›Schwarze Spiegel‹« beispielsweise habe ich mit Gewinn gelesen.

Leider ungestillt bleibt meine durch den »treibhaus«-Titel naturgemäß ausgelöste Neugier, was denn die Komik jener ominösen fünfziger Jahre, von denen die Herausgeber zutreffend sagen, daß diese »als besonders komikträchtige Zeit […] nicht in Erinnerung geblieben sind«, ausmacht und beispielsweise von jener der Sechziger oder Siebziger unterscheidet. Hinweise muß man sich selbst zusammenreimen aus der erstaunlichen Materialfülle, die der Band ausbreitet. Vom Kabarett »Distel« über Irmgard Keun und Gisela Elsner oder gänzlich Abseitiges wie Kurt Hoffmanns Literaturverfilmungen bis »Zur parodistischen Goethe-Rezeption in Günter Grass’ Roman ›Die Blechtrommel‹« – es ist ein weites und hier großzügig bepflanztes Feld. Immerhin wird man dazu inspiriert, mal (wieder) nachzulesen, wie komisch heute weitgehend vergessene Autoren wie etwa Kurt Kusenberg oder Albert Vigoleis Thelen waren bzw. sind.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 Du, »MDR«,

gehst mit einer Unterlassungserklärung gegen die sächsische Linke vor, weil die im Wahlkampf gegen die Schließung von Kliniken plakatiert: »In aller Freundschaft: Jede Klinik zählt.« Nun drohen juristische Scharmützel nebst entsprechenden Kosten für beide Seiten. Wie wäre es, wenn die Linke ihr Plakat zurückzieht und im Gegenzug nur eine einzige Klinik schließt? Die Ersparnisse dürften gewaltig sein, wenn die Sachsenklinik erst mal dichtgemacht hat.

Vorschlag zur Güte von Deinen Sparfüchsen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster