Humorkritik | September 2010

September 2010

Seibt und Busch

Mit einer leichten, meinem Alter geschuldeten Verzögerung las ich jüngsthin die 2009 von Thomas Steinfeld herausgegebene Sammlung von Aufsätzen über Robert Gernhardt (»Der große Dichter sieht die Dinge größer«, S. Fischer). In einem davon stellt der Literaturkritiker Gustav Seibt fest, daß es »Generationen ohne Poesie« gebe: »Zwischen Heines Tod und dem Auftreten von Stefan George hat die deutsche Dichtung keinen Vers hervorgebracht, der sich in der unendlichen Melodie des Sprachgedächtnisses der Nation erhalten hätte.«

 

Hoppla, dachte ich da: Zwischen Heine und George hat es doch immerhin den Dichter Wilhelm Busch gegeben, und unzählige seiner Verse haben sich tief in das Sprachgedächtnis der Nation eingeprägt. »Das Gute – dieser Satz steht fest – / Ist stets das Böse, was man läßt«, »Enthaltsamkeit ist das Vergnügen / An Sachen, welche wir nicht kriegen«, »Rotwein ist für alte Knaben / Eine von den besten Gaben«, »Musik wird oft nicht schön gefunden, / Weil sie stets mit Geräusch verbunden«, »Drei Wochen war der Frosch so krank, / Jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank« – die Liste geflügelter Worte, die Wilhelm Busch ihr Leben verdanken, ließe sich beliebig verlängern, und an Beliebtheit nehmen es beispielsweise Max und Moritz spielend mit Schillers »Lied von der Glocke« auf.

 

Dann las ich weiter: »Nicht daß man aus dieser Epoche, der Zeit der Reichsgründung, nicht zur Not ein paar bedeutende Gedichte finden könnte (zum Beispiel von Conrad Ferdinand Meyer). Doch es wären keine populären Gedichte, nicht das, was Robert Gernhardt einen ›Lyrikhammer‹ nannte, der die Ohrwurmqualitäten aufwiese, den Verse wie ›Ich weiß nicht, was soll es bedeuten‹ (Heine) oder ›Komm in den totgesagten Park und schau‹ (George) zweifellos haben. Aus dieser poesiearmen Zeit erinnert das deutsche Volk vor allem Wilhelm Busch.« Aha.

 

Das ist alles, was Seibt in diesem Zusammenhang über Busch zu sagen hat, obwohl wir ihm doch rauhe Mengen echter Lyrikhämmer von allerhöchster Ohrwurmqualität verdanken. Es mag ja sein, daß Seibt – im Gegensatz zu mir – Buschs Lyrik für weniger bedeutend hält als die von Conrad Ferdinand Meyer und Stefan George, aber auf die Frage, wer in dem Zeitraum zwischen Heines Tod und Georges Auftreten die populärsten deutschen Verse verfaßt hat, gibt es nur eine richtige Antwort: Wilhelm Busch. Und es ist schnöde, diesen fleißigen, von Gernhardt bewunderten Kunstschmied einprägsamer Verse mit der Bemerkung abzutun, daß das deutsche Volk ihn »erinnere«. Da hat sich der kluge Literaturkritiker Seibt einen Fauxpas erlaubt, und dafür gibt es hier die gelbe Karte.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg