Humorkritik | September 2010

September 2010

Der kleine Nick

Sie ist schon arg geschäftstüchtig, Anne Goscinny, die Erbin des Comicszenaristen und Asterix-Autors René Goscinny. Völlig überraschend entdeckte sie vor ein paar Jahren achtzig »unveröffentlichte« Geschichten vom »kleinen Nick« (inklusive Illustrationen von Sempé, der die Figur in den frühen Fünfzigern erfunden hat), veröffentlichte sie im eigenen, eigens dafür gegründeten Verlag, die Medien begleiteten den sensationellen Fund mit viel Getöse und Frau Goscinny verkaufte bergeweise Bücher und Lizenzen. Zwei Jahre später wiederholte sich das dann alles – huch, da sind ja noch mal 45 Geschichten, wie konnten wir die nur übersehen? – dann folgten allerlei Sonderveröffentlichungen vom Kalender bis zum Pop-Up-Buch, bis im vergangenen Jahr das Tamtam dann einen neuen Höhepunkt erreichte, als nämlich der angeblich »fünfzigste Geburtstag« des »petit Nicolas« begangen wurde, inklusive einer Ausstellung im Pariser Rathaus, Sonderbriefmarken und wiederum einem, diesmal noch schmaleren Bändchen mit »neu entdeckten« Geschichten.

 

Sympathisch ist das alles gar nicht, aber an den ganzen ausgegrabenen Texten gibt es nichts zu meckern, da erzählt der »kleine Nick« wie eh und je atemlos und kunstvoll stolperig von seinen ebenso kleinen Abenteuern mit seinen Kumpels, der besorgten Mutter, dem stets überforderten und gestressten Vater und Nebenfiguren wie dem hilflosen Hilfslehrer Hühnerbrüh oder dem gehässigen Nachbarn Bleder. Der Tonfall ist es, der das Ganze trägt und für den ist in der deutschen Fassung, damals wie heute, der prima Übersetzer Hans-Georg Lenzen verantwortlich.

 

Unerfreulich sind hingegen die Adaptionen, für die die rührige Goscinnytochter bereitwillig die Rechte verkauft hat. Zuerst kam eine lausige computeranimierte Fernsehserie (»eine großartige Arbeit«, so Anne Goscinny), von deren Debilität und liebloser Machart unsereins sich im Kika-Programm überzeugen konnte. Jetzt folgt ein Realfilm, und Anne Goscinny gibt sich erneut begeistert: »Der Film steht auf demselben Niveau wie die Buchvorlage«, behauptet sie im Pressetext, und auch Sempé gab seinen Segen und Illustrationen für den Vorspann.

 

Das Vorhaben ist nichtsdestoweniger auf allen Ebenen gescheitert: Aus den kurzen Episoden wurde keine tragfähige Handlung konstruiert, die kindliche Perspektive des Ich-Erzählers Nick und der Erzählton sind komplett flötengegangen, ja das Ganze wirkt überhaupt, als hätten die Macher eigentlich keine Ahnung gehabt, was sie mit dem Stoff anfangen sollten. Die Kinder, allesamt blaß und kein bißchen witzig, stehen herum und reden gestelzt daher, sind sich sogar immer wieder einig, statt sich wie in der Vorlage hemmungslos egoistisch in Chaos und Gekloppe zu stürzen. Darum bleibt ihr Äußeres auch stets adrett und ordentlich, was immerhin formidabel zu den sterilen bunten Fünfziger-Jahre-Kulissen und -Requisiten paßt. Nicht nur visuell, auch inhaltlich hat das keinerlei Bezug zu irgendeiner Realität, und zwecks beabsichtigter komischer Wirkung wird maßlos übertrieben: Da wohnt Georg, der bekanntlich einen reichen Vater hat, gleich im Schloß, oder ein eben entlassener Sträfling wird von Gangstern über den Haufen geschossen. Nicks Welt verliert dadurch jede Kontur, eine denkbar schlechte Voraussetzung für kleine Alltagsepisoden. Einzig Kad Merad, der Postfilialleiter aus »Willkommen bei den Sch’tis«, sorgt in der Rolle des Vaters für einige komische Momente, bezeichnenderweise vor allem dann, wenn weder Nick noch die Vorlage in Sicht sind.

 

Ich rate alten Zauseln und jungen Hüpfern gleichermaßen vom Kinobesuch ab. Wenn Sie Ihren Kindern komische Filmkost mit nostalgischer Anmutung kredenzen und selbst auch etwas zu lachen haben wollen, dann besorgen Sie sich lieber den Schweizer Film »Mein Name ist Eugen« auf DVD.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 U sure, Jürgen Klopp?

U sure, Jürgen Klopp?

Nachdem Sie Ihren Posten beim FC Liverpool niedergelegt haben, halten Sie sich in Sachen Zukunftspläne bedeckt. Nur so viel: »Ich werde irgendwas arbeiten. Ich bin zu jung, um nur noch Padel-Tennis und Enkelkinder zu machen.«

Keine Ahnung, wie Sie sich den typischen Alltag im Ruhestand so vorstellen, Kloppo. Doch wenn Menschen fortgeschrittenen Alters Nachwuchs zeugen, heißt das Ergebnis – zumindest in den meisten Fällen – »Kinder« und nicht »Enkelkinder«.

Schwant Böses: Titanic

 LOL, Model Anna Ermakova!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verrieten Sie Ihre sprachlichen Ambitionen: »Ich möchte unbedingt lernen, Witze auf Deutsch zu machen. Ich will die Leute zum Lachen bringen, ohne dass sie nur über mich lachen«. In Deutschland fühlten Sie inzwischen »eine solche Wärme«.

Der war schon mal gut!

Loben die Witzeprofis von Titanic

 Puh, »Frankfurter Rundschau«!

»Während im Süden Europas weiter enorme Hitze herrscht, sorgt ein kurzweiliges Tief in Deutschland für eine Abkühlung.« Es bleibt aber dabei: Die Tiefs sorgen für Abkühlung, und für die Kurzweil sorgen Deine Sprachkapriolen. Nicht durcheinanderbringen!

Warm grüßt Titanic

 Liebes Werbeplakat in Freiburg!

»Nicht zu wählen, weil man nicht weiß, was, ist, wie keinen Film zu schauen, weil man sich nicht entscheiden kann«, trötest Du am Bahnhof allen noch so unwilligen Nichtwähler/innen entgegen. Jetzt stellt sich natürlich die alles entscheidende Frage: Ist ein versauter Filmabend, bei dem man am Ende aus Langeweile vielleicht sogar Monopoly spielen muss, genauso schlimm wie die Machtübernahme einer neofaschistischen Diktatur?

Fragt Popcorn mampfend Titanic

 Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

Whaaaaaat, Michael Kretschmer?

»Tausende Bürgergeldempfänger könnten arbeiten, verweigern dies jedoch und bekommen so Geld vom Staat, für das die Steuerzahler hart arbeiten.«

Oha, Tausende Menschen? Das ist natürlich skandalös! Das sind ja Zahlen im vierstelligen Bereich. Wie soll sich ein Land wie Deutschland mit einer Einwohnerzahl im lediglich achtstelligen Bereich (das ist nur doppelt so viel!) das leisten können? Unter Umständen sind das ungefähr so viele Menschen, wie in Großröhrsdorf wohnen! Ein Glück, dass Sie, Kretschmer, Geld vom Staat bekommen, um solche Zahlen fachmännisch für uns einzuordnen!

Zählt zur Sicherheit noch mal an den eigenen Fingern nach:

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Steinzeitmythen

Fred Feuerstein hat nie im Steinbruch gearbeitet, er war Rhetoriker! Er hat vor 10 000 Jahren zum Beispiel den Whataboutism erfunden und zu seiner Losung erhoben: »Ja, aber … aber du!«

Alexander Grupe

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

 Europa aphrodisiakt zurück

Wenn es hierzulande etwas im Überfluss gibt, dann verkalkte Senioren und hölzerne Greise. Warum also nicht etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen, sie zu Pulver zerreiben und in China an Tiger gegen Schlaffheit der Genitalien verkaufen?

Theobald Fuchs

 Abwesenheit

Vielen Dank für Ihre E-Mail. Ich bin vom 02.–05.09. abweisend. Ab 06.09. bin ich dann wieder freundlich.

Norbert Behr

 Meine Mitbewohnerin

legt Dinge, die nicht mehr so ganz intakt sind, in Essig ein. Dabei ist es egal, ob es sich um verkalkte, schmutzige oder verschimmelte Dinge handelt. Ich würde bei ihr den Verbrauch von Salzsäure in den kommenden Jahren intensiv beobachten – gerade falls ihr Partner unerwarteterweise verschwinden sollte.

Fia Meissner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer