Humorkritik | September 2010
September 2010
Nacktschnecken und Schabernack
Vor zweieinhalb Jahren habe ich auf den bisweilen deutlich im Bezirk des Genialen agierenden und mit Auszeichnungen leidlich überschütteten Kabarettisten und Bühnenkünstler Matthias Egersdörfer hingewiesen (TITANIC 4/2008). Seither hat sich Egersdörfer verdientermaßen diverse weitere Preise abgeholt, u.a. kürzlich den Bayerischen Kabarettpreis. Bekränzt wurde Egersdörfer auch für sein Programm »Falten und Kleben«, das jetzt auf DVD erschienen ist (Universal/Comydor 2010) und das ich nun loben und bezeichnen will als ein zu drei Vierteln Meisterwerk.
Egersdörfer brüllt etwas weniger als früher herum und belfert das Publikum ein wenig seltener an, was ich ein bißchen bedauere, aber in artistischer Hinsicht ist das verständlich. Er besitzt ein ausgeprägtes Gespür dafür, seine Figur eines mittelfränkischen Grantlers nicht durch eine möglicherweise irgendwann sich zur Masche verselbständigende Eigenschaft einzuengen, und so gewinnt er Raum für grandiose erzählerische, manchmal ruhig-surreale Passagen, in denen er, wie etwa in der fabelhaften Nummer »Das schöne Wort«, das Setzen der Pointe geschickt hinauszögert.
»Was soll denn morgen besser werden?« fragt Egersdörfer mal, und er meint das ernst. Die mitunter tiefe, ungebrochene Verzweiflung angesichts der Undurchschaubarkeit und Dummheit des Daseins teilt er mit anderen großen Komikern. Als er am 23. April dieses Jahres in der BR-Fernsehsendung »Unter 4 Augen« zu Gast war und eine halbe Stunde lang am Rande des Verstummens entlangwandelte, weil die Gastgeberin, die diabolische Knallschachtel und Plappernuß Nina »Sunshine« Ruge, dauergrinsend Fragen stellte, von denen jede für sich die Notwendigkeit ihrer sofortigen Entlassung dokumentierte, gab er mit dem Hinweis auf Ausführungen Schopenhauers über Nacktschnecken entkräftet sein Credo preis: »Wenn man denen den Kopf abschneidet, sind die doch noch unterwegs sozusagen. Also, der Kopf ist überhaupt nicht notwendig. Das bringt das Elend der Welt gut auf den Punkt.«
Der BR übrigens möge dieses rare Beispiel unfreiwillig-gelungener Medienkritik durch vollständiges Mißraten eines TV-Gesprächs als DVD auf den Markt pfeffern. Ich wiederum möchte des weiteren doch sehr deutlich, ja diktatorisch das Livealbum »Sexy Baby« von Egersdörfers Gruppe Fast zu Fürth empfehlen (WortArt 2009). Da hangelt sich der Sänger und Conférencier Egersdörfer an Hand einer fiktiven Bandhistorie durch ein Programm voller schief-genauer Anekdoten, »Spinal-Tap«-Parodien im Hausmusikformat und kunstvoll versemmelter Geschichten. Er beschimpft seine hervorragenden Musiker Christian Betz, Lothar Gröschel, Philipp Moll und Rob Stephan aufs vorzüglichste (»Er hat sich verspielt, das dumme Arschloch. Es wird wahrscheinlich sein letzter Auftritt sein«), und die danken es ihm mit allerlei Dada-Allotria, präzise eingesetztem Gegröle und minimalistischem Schabernack. Das muß man hören, und dann ist für knapp achtzig Minuten tatsächlich mal »alles gut« (N. Ruge). Und zwar, weil das alles »nichts mehr mit Unterhaltung zu tun hat« (Egersdörfer).