Humorkritik | Juli 2010

Juli 2010

Berlin, Peking

China ist im Jahre 2032 der Herrscher der Welt, während Europa und die USA auf das Niveau von Schwellenländern zurückgefallen sind, und statt wohlversorgt Menschenrechte anzumahnen, verdingen sich Franzosen in Peking als Hausmeister und Deutsche als Imbißwirte. Diesen satirischen, nachgerade »witzigen« (FAZ) Ansatz einer »mundus perversus« (ibid.) nutzt Jörg-Uwe Albig in seinem Roman »Berlin Palace« (Tropen Verlag) als Hintergrund für eine »verzweifelt melancholische« (SZ) Liebesgeschichte zwischen dem Werbefilmer Ai und der schönen Olympia, die in einem Hänsel-und-Gretel-Spot den im schick-sauberen Zukunfts-Peking auszubeutenden Mythos aus Germanenwald und Brüdern Grimm illustrieren helfen soll.

 

Auch wenn Albig kein ganz schlechter Prosaist ist: Es haut alles nicht hin. Die Welt auf den Kopf gestellt, gut und schön, aber das Bild vom armen Migranten wird ja in Deutschland nicht unbedingt von Chinesen geprägt, was aber nicht unwichtig wäre für eine lt. Süddeutscher Zeitung »bissige Satire, die schwungvoll jede Leitkulturarroganz auf die Hörner nimmt und elegant mit grassierenden Chinaängsten und -phantasien spielt«, ein Grassieren, das z.B. mir noch gar nicht recht aufgefallen ist. Auch liest sich Albigs imaginiertes Peking weniger wie ein Neu-Berlin denn wie ein dekadentes Spätrom oder Sex-and-the-City-New York, in dem furchtbar international gegessen wird und noch die Kolibris der Fashion Victims Mukoviszidose haben: »Ich verstand ihr Unbehagen an diesen Menschen, an den Bankpräsidenten in ihren Plexiglas-Marmorbooten und Permafrost-Palästen, an den Kammgarn-Gespenstern, die im Privatshuttle auf La Guardia landeten und dann für Russenpreise in den Ruinen des Ritz-Carlton wohnten.«

 

Überdies leidet das alles unter dem weihevoll vokalsatten, sozusagen konfuzianischen Ton, den der autochthon chinesische (aber halt doch vom Albig stammende) Ich-Erzähler beglaubigungshalber spazierenführt, und gelingt mal ein schöner Witz, wird er sogleich zu Tode geraunt: »Der Deutsche stimmte ein Lied über die Pauke an. ›Pauke geht bis morgen früh‹, übersetzte er … Es folgte ein Lied über das Meer (›in meine Lande man sagt, Seemann kann nicht treu sein‹), … und jetzt konnte auch ich mich nicht mehr halten, verlor auch ich mich in der brutalen Kraft dieser Musik, in ihrer Wucht, schloß mich an mächtigen Wurzeln an, die sie mit der Erde verband, die unser aller Erde war.« Daß dieser (tatsächlich nichts weniger als »bissige«) Ton am Ende wenigstens zur Liebesgeschichte paßt, rettet »Berlin Palace« leider nicht, ein Buch, das mich an eine Lifestyle-Zeitschrift aus dem höheren Segment erinnert hat, Schöner Wohnen etwa: Alles nach den Regeln der Kunst produziert, edel fotografiert und manierlich getextet – aber weder weiß man, was einen das angeht, noch muß man drüber lachen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.12.2023 Oldenburg, Wilhelm 13 Bernd Eilert mit Sandra Kegel und Klaus Modick
06.12.2023 Berlin, Das ERNST Hauck & Bauer mit Kristof Magnusson
07.12.2023 Bad Homburg, Kulturzentrum Englische Kirche Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
09.12.2023 Leipzig, Kupfersaal Martin Sonneborn mit Gregor Gysi