Humorkritik | Juli 2010

Juli 2010

Albert Speers Paris

Der sinnfreie deutsche Titelzusatz »Uns gehört Paris!« führt Skeptiker auf die falsche Fährte: Da sollen wohl genau jene geködert werden, denen an »Amélie«, Jean-Pierre Jeunets größtem Erfolg, vor allem der Pariskitsch gefiel. »Micmacs«, Jeunets erster Film nach fünf Jahren, enthält jedoch keine Spur davon, sondern knüpft eher wieder an »Delicatessen« an, das Debüt von 1991. Zwar geht es nicht ganz so morbide zu, doch strotzt das Werk auch wieder vor visuellen Einfällen und komischen Details und wartet mit einer ganzen Schar skurriler Figuren auf, die etwa so komplex angelegt sind wie Spirou und Fantasio. Das macht aber gar nichts, denn feinere Charakterzeichnungen hätten nur unnötig vom frisch vorangetriebenen Plot abgelenkt, der recht unterhaltsam »Rififi«-Methoden mit Handlungselementen verbindet, für die einst Dashiell Hammett mit »Rote Ernte« die Vorlage geliefert hat und die wohlbekannt sind aus Sergio Leones »Für eine Handvoll Dollar« oder dem Bruce-Willis-Film »Last Man Standing«.

 

So werden auch hier zwei böse Banden kunstvoll gegeneinander ausgespielt, die diesmal allerdings Waffenhersteller sind und deren Hauptquartiere, wie üblich, an derselben Straße liegen. Nur sind es eben Firmenzentralen in Bürogebäuden, die aussehen, als hätte Albert Speer sie entworfen. Der Held, gespielt von Dany Boon, ist weder sonderlich heldenhaft noch ein Einzelkämpfer, er wird von einer Art WG unterstützt, die Müll bewohnt und verwertet und deren Mitglieder über allerlei ungewöhnliche Fähigkeiten verfügen, die beim Kampf gegen die Waffenfabrikanten – wenig überraschend – von großem Nutzen sind. Jaja, ein wenig kunstgewerblich ist das freilich; schrullige, liebenswerte, zirkuskompatible Typen, die auch noch gruppenweise auftreten, habe auch ich gründlich satt, und akkordeonfrei ist die Filmmusik auch nicht – doch wenn so schnell und zugleich elegant eine solche Fülle überraschender und absurder Erfindungen, Pointen und Wendungen aufeinanderfolgen, wird mein Gemecker im Keim erstickt. Schön, daß Jeunet wieder da ist. Ich hatte fast vergessen, daß es jemanden gibt, der Terry Gilliam das Wasser reichen kann.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg