Humorkritik | Januar 2010

Januar 2010

Ein Riesenquatschkopf

Einmal im Jahr ist eine kurze Thomas-Bernhard-Phase doch recht ratsam. Dann kann man sich aufs neue davon überzeugen, daß der alte Untergangsobsessionist stets ebenso falsch verstanden oder einseitig gelesen wurde und immerfort-fortgesetzt falsch verstanden werden wird wie beispielsweise Dostojewski.

 

Natürlich, der Sätze sind allzu viele, die es uns leichtmachen, Bernhards superlativisch-redundante Katastrophen- und Zusammenbruchsprosa als »Literatur von der schroffsten, abweisendsten und verletzendsten Sorte« (Urs Jenny) zu bezeichnen und gewissermaßen abzuhaken. Aber entpuppen sich nicht sogar düsterste Äußerungen wie jene in seiner legendären sog. Skandalrede bei der Verleihung des Kleinen Österreichischen Staatspreises 1968 – »Die Zeitalter sind schwachsinnig, das Dämonische in uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur tagtäglichen Notdurft geworden sind« bzw. »Wir haben nichts zu berichten, als daß wir erbärmlich sind« –: entpuppen sie sich nicht eher als Clownerien? Als kalkuliert pathetische, existentialistisch-polemische Hampeleien vor einer fürwahr abstoßenden Versammlung unausstehlicher Kulturkrähen?

 

Oder anders gefragt: Wie geistig verkommen muß man sein, um Bernhard einen »Querdenker« zu nennen? So steht’s auf der Rückseite der Doppel-CD »Ereignisse« (der hörverlag, 2003), die Radiolesungen von Bernhard und seine betont lustlos zusammengepatzte Büchner-Preis-Rede aus dem Jahr 1970 präsentiert; Lesungen, in denen selbstverständlich unentwegt die Rede ist von »klerikalem Stumpfsinn«, von »drückendsten Menschenerbärmlichkeiten«, vom Theater als einer »einzigen perfiden Ungezogenheit« oder von einer »ihn mit allen Raffinessen zersetzenden Gegend«; Lesungen, in denen allenthalben morbide Figuren herumkrautern, niedergezwungen vom allgemeinen »Daseinsdilettantismus«, von der unerbittlich ridikülen Daseinsdebakilität, horrible Existenzen, aufs übelste gezeichnet von Armut, Krankheit, Niedertracht, Verbrechen und Kopflosigkeit. Allein – Bernhards dezenter, genauer, leicht singender Berichtston taucht das ganze angebliche Permanentgrauen in ein mildes Licht, ja, er erzeugt eine freundliche, helle Atmosphäre, in der das große Verhängnis bald vor allem als Posse und Scherz erscheint.

 

Daß Thomas Bernhard ein enormer Spaßmacher war, ist hie und da be- und angemerkt worden. Wer die berühmten Interviewporträts von Krista Fleischmann anschaut, »Monologe auf Mallorca« (1981) und »Die Ursache bin ich selbst« (1986) – kürzlich auf DVD in der Filmedition Suhrkamp erschienen, mit einem sorgsamen, ausführlichen Begleittext von Raimund Fellinger –, fragt sich daher benommen, wie etwa der für die obengenannte CD verantwortliche Bernhard-Spezialist und -Adept Andreas Maier den wohlfeilen Allgemeinplatz über »Bernhards öffentliche Verweigerung der Öffentlichkeit« durch den Verweis auf dessen »boshaft verschlagene, dialektale Interviews« meint bekräftigen zu können.

 

Denn den »Totalbeherrscher seines eigenen Bildes« (Maier) sehen wir da als »begnadeten Humoristen« (Willi Winkler), als »radikalen Humoristen« (Ulrich Weinzierl), als meist bübisch grinsenden, nicht selten laut lachenden Kasper und (Selbst-)Widerspruchskünstler, als Ad-hoc-Wortspieler und Witzbold mit angenehm gelassener Diktion auftreten. Souverän, gelöst, beiläufig wirft dieser »positive Mensch«, wie sich Bernhard charakterisiert, völlig ungeordnet mit monströsen Thesen um sich: Die Sprache sei immer und ausnahmslos eine einzige Übertreibung, die Kultur immer und ausnahmslos Repression und »Unsinn« und ohnehin alles immerzu »ein gigantischer Betrug«, »aber eigentlich großartig«, die Kirche sei zu allem zu »blöd«, weil ja auch irgendwie das Klima in Rom zu rauh und zu widerwärtig sei, was allerdings kein Grund sei, nicht Papst zu werden: »Vielleicht vergiften Sie jetzt den jetzigen, und ich steig’ hinter Ihnen ein, schlüpf’ in das Nachthemd des jetzigen Papstes, mach’ eine kleine Gesichtsoperation und geh’ am nächsten Tag als der Papst heraus.«

 

»Is’ doch alles ganz lustig«, sagt Bernhard dann, zwischen rumlungernden Urlaubern und Rentnern im Café oder auf einer Hotelterrasse hockend, und so ist es: Dem Alleinunterhalter, mit seinem »philosophischen Lachprogramm« hantierend, dienen die Wörter und Worte als »Scherzmaterial«, und die Funken, die er, weder das depperte Fernsehen noch sich selber ernst nehmend, daraus schlägt, sind oft schlicht saukomisch, sind oft fabelhafter Stuß – den, um die herausgeschnittenen Partien ergänzt, nachzulesen der 2006 erschienene Band »Thomas Bernhard: Eine Begegnung – Gespräche mit Krista Fleischmann« (dito Suhrkamp) Gelegenheit gibt. Mehr Blödsinn gefällig? Bitte schön: »Der Luchs und der Luxus. Der Mauerluchs und der Mauerluxus, sind ja Mauern – weiß ’kalkte Mauern. Und da drin geht der Luchs mit seinem Luxus hin und her. Der geht immer hin und her.« – »Die Engländer hab’ ich gern, weil die haben völlig abgehaust, sie liegen vollkommen am Boden.« – »Die Österreicher sind liab und bleiben blöd.« – »Bei uns gibt’s nur schlechte Fische.« – »Austern, ist ja das Gefährlichste.« – »Die haben ja nur dicke Bäuch’, und Genies haben die Schweizer ja auch keine. […] Pro Kopf fällt in Österreich eine unglaubliche Menge von Verbrechern an. […] Sie stehlen ja wie die Raben, und einer bringt den andern um. Und unsere Regierung fördert alles Scheußliche, hat noch nie was Positives gefördert.« (Weshalb Bernhard, nebenbei, in einem Fernsehinterview 1984 anläßlich der Beschlagnahmung seines Romans Holzfällen die Empfehlung aussprach, die Internationalen Gerichtshöfe in Den Haag und sonstwo sollten sich endlich um diese kleinen Länder Schweiz und Österreich kümmern, die seien erheblich schlimmer und verheerender als südamerikanische und anderweitige Despotien.)

 

Zugestanden: vor allem im zweiten, in Madrid entstandenen Porträt ist zu spüren, wie furchtbar die Krankheit Bernhard ausgezehrt und niedergedrückt hat, und jene Passage, die in einer Stierkampfarena gedreht wurde, zeigt den hochempathischen, zarten Bernhard, der sein Entsetzen angesichts des bestialischen Schauspiels nicht verbergen kann. Doch daneben sind es die grazil und sympathisch wurschtig durchs Denken spazierenden Selbstgespräche dieses herumsitzenden Peripatetikers und Grandiosflunkerers, die unvermindert schiere Freude auslösen: die melodiös vorgetragenen, abstrusen Geschichten über seine journalistischen Anfänge; die entgleisenden Verhöhnungen all der »Arschlöcher« unter den Intellektuellen (»Man müßte als universitätsreisender Professor einen Riesenholzhammer hängen haben und immer ununterbrochen hinhauen, daß ein bißchen was in die Leute hineingeht«); die quatschige Belobigung Spaniens (»Na ja, Spanien ist etwas Wunderbares, das ist ganz klar. […] Die Autos stinken ein bißl mehr, sehr angenehm, und eine schöne Architektur und eine räudige Gegend, ich hab’ das ja gern«) oder die Polt-nahe Erzählung über seine Berufswünsche als Kind: »Ich wollte Cäsar werden, war leider nicht möglich. Haben die Eltern schon gesagt, ›wir lassen dich zwar in Ruhe, aber wir geben dir den guten Rat, Cäsar wird nicht möglich sein‹. Dann habe ich es mit Sänger versucht, aber ich heiße Bernhard und nicht Sonntag, dadurch war die Karriere irgendwie doch nicht ganz möglich.«

 

Nein, es bleibt dabei, alle exegetischen Raunereien über Bernhards Selbstdarstellung und -verstellung hin oder her: Einmal im Jahr freue ich mich, ihn wiederzulesen und wiederzutreffen, diesen Dichter, der von sich behauptete: »I bin a lustige Person. Da kann man leider nichts ändern.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella