Humorkritik | November 2008

November 2008

Abstürze, Katerkunde

Wenn die Kohorten von Suppenköpfen, die uns als von wem auch immer ernannte »Experten« mittlerweile stundein, stundaus über alle verfügbaren Medien darüber belehren, wie viele Filterlose man am Tag rauchen sollte und wann der Verzehr von Paprika bedenklich oder letal wird, nicht der Fluch wären, der sie sind, könnte man über den hysterischen Zug unserer zügellosen Zeit, jede Alltagsverrichtung unter »wissenschaftlichen« Aspekten und auf der Grundlage angeblich »gesicherter Erkenntnisse« zu beäugen und zu optimieren, ab und an sogar lachen. Doch lustig ist das pandämonische Treiben eben längst nicht mehr, sondern eine bisweilen erdrückende Last.

 

Vor ein, zwei Dezennien war das anders. Wie ich dem Band »Weltquell des gelebten Wahnsinns« (Kein&Aber), der Artikel und Reportagen des im Jahr 2000 verstorbenen Spiegel-Redakteurs Henry Glass versammelt, entnehme, rumorten und ruckelten die mehrheitlich schon immer narrischen Naturwissenschaftler unserer weisen Welt damals noch brav und keusch in ihren Kammern und Nischen herum, und es bedurfte einer so – im genuinen philosophischen Sinne – neugierigen wie stilistisch sattelfesten »Legende« (Verlag) wie Glass, um einem breiten Publikum vom unerschütterlichen Drang all der Faustiker Mitteilung zu machen, die sich etwa auf den Feldern der Flatulenzforschung, der Murphytheorie und der Katerkunde tummeln.

 

Glass, mit einer fürchterlichen Krankheit geschlagen, war, das bezeugen Freunde und Weggefährten, ein ausnehmend einnehmender, humorbeseelter, den Spleens und den geistigen Getränken sonniglich zugeneigter Dandy, der Joyce, Oscar Wilde und Arno Schmidt schätzte und gewandt und lässig die Ernstler der Laborwerkler- und Statistikerzünfte hopsnahm. Sein Kumpel Harry Rowohlt hat ihm durch die bereits vor dem Buch erschienene Auswahllese-CD gleichen Titels (ebenfalls Kein&Aber) die Reverenz erwiesen, und ich reihe mich gern in die Phalanx der Verehrer ein, denn allein Glass’ Porträt von Dublin, einer – ehedem? – elysischen Zusammenrottungsstätte der Faulpelze, schrulligen Projektschmiede und dem Œuvre Flann O’Briens entstiegenen Quatsch- und Sumpfgestalten, zwänge mich, wäre ich katholisch, zum Niederknien. »Erschütternd komisch« – so schrieb’s der österreichische Standard – ist das fürwahr.

 

Wie die Crapulogen, die die Ursachen von alkoholzufuhrbedingten Ratterschädeln zu enträtseln versuchen, über allerlei Hypothesen und Methoden in den schönsten Zwist geraten, das lesen Sie bitte selber, und zwar genauso vergnügt wie ich – und anschließend die anheimelnd abstruse Geschichte über eine Entzugsklinik für Esel in England. Wissenschaft ist, möchte man spätestens da meinen, wenn es auch nichts macht. Und ins Eselsanatorium seien unsere heutigen Expertenheere verschickt.

 

Einen von Glass für die Ewigkeit geretteten Dialog will ich Ihnen allerdings nicht vorenthalten. Er steht in einem Spiegel-Beitrag über Flugzeugabstürze und die dafür allermeist verantwortlichen »Schwachköpfe« (Glass) in den Cockpits:

 

»Kopilot: ›Durchstarten!‹ Captain: ›Hände weg vom Steuerknüppel!‹ Kopilot: ›Durchstarten!‹ Captain: ›Nein. Nicht. Mann, du bringst uns alle um.‹ (Crashgeräusche.) Kopilot: ›Ich bin ganz o. k.‹ Captain: ›Warum hast du die Maschine hochgezogen? Wir waren doch schon auf der Landebahn. Mit voller Schub­umkehr.‹ Kopilot: ›Ich wollte eben durchstarten.‹«

 

Ein solches Dramolett hätte Beckett der Nachwelt hinterlassen, wäre er nicht verrückt gewesen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann