Humorkritik | November 2008

November 2008

Saint-Exupérys Mikrohumor

Merkwürdig zärtliche Ohnmacht empfinde ich, sooft ich einem Kind aus irgendeiner Verzweiflung helfen will und feststellen muß, daß nichts auszurichten ist: Weil die Spurweite meiner Argumente nicht zum Mikromaßstab der kindlichen Leidenslandschaft paßt. Ein ausgewachsener Rettungshubschrauber, der auf einer Modellbahnanlage landen will – unmöglich.

 

Ähnlich überspannt wie diese Einleitung klingen die folgenden Sätze: »Ich wußte nicht, was ich noch sagen sollte. Ich kam mir sehr ungeschickt vor. Ich wußte nicht, wie ich zu ihm gelangen, wo ich ihn erreichen konnte. Es ist so geheimnisvoll, das Land der Tränen.« Sie stammen aus Antoine de Saint-Exupérys »Der kleine Prinz«, jenem Evergreen, den manche geradewegs als philosophisches Hauptwerk zu feiern imstande sind.

 

Und den andere eben deswegen verachten – so etwa auch der Berliner Autor Anselm Neft, den ich auf einer Lesebühne seine »Prinz«-Polemik vortragen hörte. Junge Frauen, so Nefts Tenor, kontrapunktierten Annäherungsversuche gern mit den berühmten »Prinz«-Zitaten über Freundschaft, Treue und das Herz als Gesichtsorgan und erzeugten so die gefürchtete Kerzenlichtstimmung. Auch ich kann mich an dergleichen erinnern, aber auch daran, Exupérys Klassiker als Jugendlicher gern gelesen zu haben – und zwar als komisches Werk. Was aber taugt er wirklich? Zur Überprüfung hab ich das Büchlein hervorgekramt. Und – war beeindruckt.

 

Denn freilich gibt’s Schwachstellen, doch die bleiben überschaubar. Fast durchweg bilden sie jenen sich anbiedernden Kinder-sind-klug-und-Erwachsene-doof-Refrain, den Neft zu Recht inkriminiert, offenbaren aber immer­hin die prinzipielle Erzählsituation des Autors: Ein Nicht-Pädagoge ohne Kinder­bucherfahrung hantiert beim Versuch, eine unerwachsene Tonlage einzustimmen, übermotiviert.

 

Zahlreich dagegen die positiven Überraschungen, speziell durch Passagen, deren Komik ziemlich überzeugend, nämlich sogar im virtuosen Trippelschritt daherkommt: »Ich lege Wert darauf, daß meine Unfälle ernst genommen werden.« Oder: »Zuerst notiert man die Erzählungen der Forscher mit Bleistift. Um sie mit Tinte aufzuschreiben, wartet man, bis der Forscher Beweise geliefert hat.« Oder: »Denn man kann treu und faul zugleich sein.«

 

Drastischer, doch gleichwohl gelungen, die unausbleiblichen Affenbrotbäume und die hyperzickige Blume, von denen der Prinz erzählt; und ein handelsüblicher Witz gar kommt auch vor: in Gestalt des Dialogs mit dem Säufer, der eben seinen Suff im Alkohol ertränken will.

 

Rührenderweise streicht übrigens Neft just diese Stelle dickstens rot an: insofern sie nämlich die Alkoholproblematik versimplifiziere. O armer Kritiker, der vom Apfelbaum Birnenschnaps ernten will und von Saint-Exupéry eine Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung! Kurz: Neft liegt schwer daneben, und ich bin ihm eben deshalb verbunden. Ihm verdanke ich mein neuerliches Vergnügen mit dem Kleinen Prinzen, dessen Mikro-Modellbahnlandschaftshumor zu erkunden meinen Lesern zärtlich anempfohlen sei.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt