Humorkritik | Juni 2008

Juni 2008

Daseinsdeppenhaftigkeit

»Was? Sie kennen Heino Jaeger nicht?« fragt der Verlag Kein & Aber anläßlich der Veröffentlichung der neuen, vom Kollegen Henscheid kompilierten Heino-Jaeger-Archiv-CD »Wie sieht’s bei Euch aus?« recht marktschreierisch und doch berechtigt rhetorisch, denn Jaeger, das neben Karl Valentin und Gerhard Polt größte Genie der deutschen Bühnenkunst, kennt trotz aller Bemühungen, seinen Ruhm zu mehren, nach wie vor kaum ein Schwein außerhalb der überschaubaren Kreise, die dem 1997 verstor­benen Universal­umwälzer der deutschen Sprache  abgöttisch huldigen.


Vor langer Zeit unter dem Titel »Hitler in Süd­amerika« angekündigt, stellt diese vierte, nun wohl aus Vermarktungsgründen ausgesprochen brav benamste Auswahlplatte ­Jae­ger abermals als den nahezu singulären Virtuosrhetor und Nachahmungsequilibristen vor, der er war; als den »lebensgleichgültigkeitsüberwölbende, frohsinnige Positivität« (Henscheid) produzierenden Erheller der durch Schopenhauer und Anverwandte erkannten allgemeinen und unbezwingbaren Deppenhaftigkeit des Daseins.


Jaeger salviert und kalmiert. Das segensreiche Hören beginnt mit der Peter-Frankenfeld-Parodie »Der Conférencier«, in der der unwiderlegbare Syllogismus auftaucht: »Was wäre der Frühling ohne Frau’n? Bzw.: Was wäre allerdings auch die Frau ohne Frühling?« Es folgt eine quarzkomische Nummer über einen Arzt, der »vertikale Embleme« diagnostiziert, und die Handwerkerhotline­höllenszene »Kundendienst«, in der z. B. ­Wissenswertes über den »Erdmuffenkopf« ­zu erfahren ist – bis der schiere Audiogenuß eine erste Klimax erklimmt, wenn Jaeger uns, ellip­tisch zerschreddert, über die Sensationen der »Kieler Woche« und der Kieler Wesen­heit als solcher, über, kurzum, die »reine Sprottenstadt« informiert, in der zumal der »Räucherwal zu Hause« sei.


Ja, Jaeger müßte, ginge es in dieser Welt halbwegs nach den kantischen Vernunftprinzipien zu, ein populärer Volkskünstler sein. Da man, ungeachtet der herrschenden »Mehrheitssonderabregelung« (Jaeger), der Kurzerörterung »Schule und Elternhaus« lauscht (»Ohne Lernhilfe keine Eltern, ohne Eltern keine Schule, ohne Schule keine ­Eltern«), kann einem die substantielle Verblödungsgeneigtheit der Gegenwart wurscht sein, und wohltrunken bestaunt man wieder und wieder die heuristischen Pirouetten, die Jaeger unablässig drehte – beispielsweise diese: »Seh’n Sie, Bloch sagte, glaube ich, einmal: ›Prosa ist nichts für mich.‹ Das stammt übrigens nicht von mir.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Etwas unklar, mallorquinische Demonstrant/innen,

war uns, warum wir Euch bei den Demos gegen den Massentourismus immer wieder palästinensische Flaggen schwenken sehen. Wir haben lange darüber nachgedacht, welchen logischen Zusammenhang es zwischen dem Nahostkonflikt und Eurem Anliegen geben könnte, bis es uns einfiel: Na klar, Ihr macht Euch sicherlich stark für eine Zwei-Staaten-Lösung, bei der der S’Arenal-Streifen und das West-Malleland abgeteilt werden und der Rest der Insel Euch gehört.

Drücken die diplomatischen Daumen: Eure Friedenstauben von Titanic

 LOL, Model Anna Ermakova!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verrieten Sie Ihre sprachlichen Ambitionen: »Ich möchte unbedingt lernen, Witze auf Deutsch zu machen. Ich will die Leute zum Lachen bringen, ohne dass sie nur über mich lachen«. In Deutschland fühlten Sie inzwischen »eine solche Wärme«.

Der war schon mal gut!

Loben die Witzeprofis von Titanic

 Hello, tagesschau.de!

All Deinen Leser/innen, die von Tim Walz, der für die US-Demokraten als Vizekandidat in den Wahlkampf ziehen soll, bisher noch nicht allzu viel gehört hatten, wusstest Du doch immerhin zu berichten, er sei ein ehemaliger »Lehrer und gilt als einer, der die einfache Sprache der Menschen spricht«. Und nichts für ungut, tagesschau.de, aber dass ein Kandidat im US-Wahlkampf, ein einstiger Lehrer zudem, Englisch spricht, das haben selbst wir uns schon beinahe gedacht.

Deine einfachen Menschen von Titanic

 Mmmmmh, Iglo-Freibad-Pommes!

Ihr seid ein neues Tiefkühlprodukt, das in diesem Sommer vom grassierenden Retro- und Nostalgietrend profitieren möchte. Daher seid Ihr derzeit auf den großen Plakatwänden im Stadtbild vertreten, und zwar garniert mit dem knusprigen Claim: »Das schmeckt nach hitzefrei«.

Aber schmeckt Ihr, wenn wir uns recht erinnern, nicht ebenfalls nach einem kräftigen Hauch von Chlor, nach einem tüchtigen Spritzer Sonnenmilch und vor allem: nach den Gehwegplatten aus Beton und der vertrockneten Liegewiese, auf welchen Ihr regelmäßig zu Matsch getreten werdet?

In jedem Fall bleibt es Euch weiterhin verboten, vom Beckenrand zu springen, schimpft Eure Bademeisterin  Titanic

 Dass Du das »Du«, Steffen Freund,

so bescheuert verwendest, werden wir von Deiner Zeit als Fußball-Co-Kommentator bei RTL in unangenehmer Erinnerung behalten.

»Das muss anders gespielt werden! Du musst den Spieler in die Zone bringen.« – »Das zeichnet eine gute Mannschaft eben aus – dann lässt du dich besser fallen.« – »Gegen den Ball ist da kein Abnehmer, und das spürst du natürlich auch.« – »… und dann bist du in einer Situation, wo es gelb bis rot wird.« – »Dann hast du noch drei zentrale Mittelfeldspieler, das reicht dann mal nicht.« – »Du brauchst jetzt zwei Spieler, die noch frisch sind.« – »Es ist ein K.-o.-Spiel! Du hast nur noch 20 Minuten!« – »Einfach mal durchstecken! Jetzt kannst du eins gegen eins gehen!«

Eben nicht. Weil wenn’s ganz unerträglich wird, kannst Du natürlich den Ton abschalten.

Brauchst Du aber nicht mehr. Jetzt ist es ja vorbei. Und Du liest wieder Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zero Punkte für den Underdog

Nach meinem Urlaub in Holstein möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die oft zu Unrecht belächelte Ostsee brechen. Jene, so heißt es, sei eigentlich gar kein richtiges Meer und habe ihre unwürdige Existenz bloß einer brackigen XXL-Schmelzwasserpfütze zu verdanken. Wellen und Brandung seien lächerlich, die Strände mickrig und das Leben unter Wasser mit der Artenvielfalt in einem Löschtümpel vergleichbar. Außerdem habe ein Gewässer, in das man vierhundert Meter hineinschwimmen und danach selbst als Siebenjähriger noch bequem stehen könne, das Prädikat »maritim« schlicht nicht verdient. Vorurteile, die ich nur zu gerne mit fantastischen Bildern und spektakulären Videos widerlegen würde. Doch daraus wird dieses Mal nichts. Leider habe ich meine kompletten Küsten-Campingferien aus Versehen im »Freibad am Kleinen Dieksee« verbracht und den Unterschied erst zu spät bemerkt!

Patric Hemgesberg

 Abwesenheit

Vielen Dank für Ihre E-Mail. Ich bin vom 02.–05.09. abweisend. Ab 06.09. bin ich dann wieder freundlich.

Norbert Behr

 Hybris 101

Facebook und Instagram, die bekanntesten Ausgeburten des Konzerns Meta, speisen seit kurzem auch private Daten ihrer Nutzer in die Meta-eigene KI ein. Erst wollte ich in den Einstellungen widersprechen, aber dann dachte ich: Ein bisschen Ich täte der KI schon ganz gut.

Karl Franz

 Aus einer Todesanzeige

»Wer sie kannte, weiß was wir verloren haben.« Die Kommasetzung bei Relativsätzen.

Frank Jakubzik

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert