Humorkritik | Oktober 2007

Oktober 2007

Der Ohren Zukker Weyde

Über Komik im Zeitalter des Barock habe ich erst im letzten Heft (»Sorel, die Supersau«) geschrieben, über barocke Musik jedoch fast weniger als kaum. Dies kann ich jetzt wettmachen, da mir ein fürwahr »ohrenvergnügendes und Gemüth ergötzendes Tafel-Confect« zu Ohren kam. Dessen Dichter und Komponist, der sündige Benediktinerpater Valentin Rathgeber (1682–1750), soll sich, so flunkert eine Legende, eines Morgens aus seinem Kloster im fränkischen Banz gestohlen haben, um fortan als Musikus von Hof zu Hof und Stadt zu Stadt zu ziehen und weltlichen Genüssen zu frönen.

 

Wenn er auch in Wirklichkeit wohl mit Erlaubnis seines Ordens reiste, um neue Entwicklungen in der Musik kennenzulernen und für die eigenen Schöpfungen Reklame zu machen, denen die Mär vom ausgebüxten Mönch förderlich war: Statt dem Lobpreis Gottes widmet dieser Pater, dem aufstrebenden Bürgertum zu Gefallen, sich dem Lob des schönen Mammons, des süßen Weins und einer gutgefüllten Gans; besingt die Herrlichkeiten des »Frauenzimmers«, beklagt aber auch die »Beschwerlichkeiten des Ehestands« und bespöttelt, dem von Fürsten, Adel und Patriziat entmündigten Otto Normalbürger zum Trost, den erfolglos räsonnierenden »Politicus«, indem er ein satirisches Duett anstimmt, dessen eine Rede »ja ja ja ja« sei und dessen andere »nä nä nä nä«.

 

Mehr Ja als Nä ist Rathgebers Rede in einer Sache, die auch damals schon heftig umstritten war: dem Tabakgenuß. Da ist einerseits der Schnupftabak, denn »Schnupf-Taback ist meine Freude / und der Nasen Zukker Weyde«; andererseits aber auch der Schnupfer selbst: »Wenn nur deine Nase nicht / stünde vornen im Gesicht / besser wär es hinten zu / mögt der Dreck recht lauffen / also könnte man mit Ruh / ein Glas mit dir saufen«. Besser getroffen hat’s daher sein Bruder, der Pfeifenschmöker alias »Rauchfang-Schmutzel«: »Rauch-Taback ist nicht genug zu loben / man hat ja tausend Proben / er dienet vor Pestilentz, Kranckheit und Tod / Rauch-Taback bescheret Gott«.

 

Solchen schlichten Weisheiten sitzt die einfache Barockmusik wie angegossen; ja, ein simpel gestricktes, mit Pointen dünn bestücktes und auf schiefen Versfüßen stehendes Scherzgedicht gewinnt oft erst durch die gefällige, ja liebliche Harmonik seine bezwingend possierliche Komik. Aber die Rosinen aus diesem »Tafel-Confect« picken muß man schon und wissen, wann es genug ist: »Sag her noch eins was ist das mir / und wohlgefällt auch jetzund dir / so niemand wird abwenden / ich glaub daß mir und dir / zum besten g’fällt daß jetzund wir / das Lied auch können enden.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg