Humorkritik | Oktober 2007

Oktober 2007

Comic-Klassiker

Ob er ein Seemann sei, ruft Castor Oil ­einem im Hafen herumlungernden Typen mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu. »Seh ich etwa aus wie’n Cowboy?« knurrt dieser ­zurück.

 

Diese Szene spielte sich im Januar 1929 in den paar Zeitungen ab, die E. C. Segars leidlich erfolglosen Comicstrip »Thimble Theatre« (Fingerhuttheater) abdruckten – seither kennt alle Welt den grantigen Seemann mit den kräftigen Unterarmen und der Vorliebe für Spinat. Oder auch nicht. Die meisten kennen nur die Werbe-Franchisefigur Popeye, die noch heute zwei Milliarden ­Dollar pro Jahr umsetzt, nicht aber das Original, dessen Abenteuer E. C. Segar bis zu seinem frühen Tod 1938 zeichnete.

 

Popeye war eine Sensation. Ein zutiefst häßliches, einäugiges Rauhbein, dessen Sprechweise jeglicher Syntax Hohn sprach und das, wenn er nicht weiterwußte, die ­Fäuste fliegen ließ. Popeye lebte nach ­seinem Wahlspruch »I yam what I yam and that’s what I yam«, nichts und niemand konnte ihn vom einmal eingeschlagenen Weg abbringen, er war fintenreich genug, um auch seine härtesten Widersacher übers Ohr oder k. o. zu hauen, und wenn es denn sein mußte, verdrosch er auch mal eine Frau oder ließ seine Gespielin Olive für ein kesseres Weibsbild stehen.

 

E. C. Segars Witz, gleichermaßen geprägt vom Vaudeville wie vom absurden Theater, war roh, vulgär, unkorrekt, sehr physisch und abstrus und machte aus Popeye nicht nur den Retter der Spinatindustrie, sondern auch Amerikas populärsten Antihelden der Depressionsjahre.

 

Popeyes anarchische Anfänge wurden uns indes lange vorenthalten, denn die Vergangenheit der Comics ist so reich wie das Gedächtnis der Szene kurz. Das läßt sich nun korrigieren: Der amerikanische Verlag Fantagraphics Books arbeitet an einer Werk­ausgabe von Segars »Popeye«, und auch der deutsche Mare-Verlag hat unlängst eine dicke Schwarte mit Popeyes Abenteuern auf hoher See aufgelegt – kongenial übersetzt von Ebi Naumann, dem es gelungen ist, die als unübersetzbar geltende Sprache einzudeutschen: »Ich pin, wass ich pin – wer ­pinnich tenn?!«

 

Auch George Herrimans »Krazy Kat« gilt als unübersetzbar, und deshalb greife der interessierte Leser klassischer Comics gar nicht erst zu den kläglich gescheiterten deutschen Übertragungen, sondern zur amerikanischen Ausgabe der Sonntagsseiten, die der Fantagraphics Verlag jetzt unter dem ­Titel »Krazy and Ignatz« herausgibt.

 

»Krazy Kat«, der ewige Klassiker, ist so simpel wie genial: Die liebenswerte, verrückte Katze liebt die Maus Ignatz, die ihrerseits die Katze mit Pflastersteinen beschmeißt, was diese wiederum als Liebes­beweis auffaßt. Und der Hund, Offisa Pupp, heimlich in Krazy verliebt, will die Katze vor den Angriffen der Maus beschützen und sperrt Ignatz bei jeder Gelegenheit in den Knast. Diese Situation wird auf jeder Seite durchgespielt, aber nie hat man den Eindruck, daß sich etwas wiederhole – die ­Situation ist surreal genug, um jedesmal neu zu wirken und sich nie abzunutzen.

 

Der Humor ist absurd, die Grundstimmung melancholisch, und Schadenfreude kommt trotz des Backsteins nie auf. Schließlich geht es um Liebe und gegenseitiges Mißverstehen. Aber nicht nur: Allein die Implikationen der widernatürlichen Konfiguration Hund, Katze, Maus lassen viel Spielraum für politische, philosophische, sentimentale, erotische, poetische und soziale Spannungen, die Herriman allerdings nie expliziert – sie schwingen nur unterschwellig mit und machen »Krazy Kat« zum anarchistischen Comic par excellence.

 

Zu absurd, um kommerziell erfolgreich zu sein, erfreute sich der Katzencomic, den Herriman von 1913 bis 1944 zeichnete, der Bewunderung so prominenter Zeitgenossen wie Picasso, Gertrude Stein, T.S. Eliot und anderer; und der Pressemagnat William Randolph Hearst war so vernarrt in den Strip, daß er Herriman kurzerhand zum bestbezahlten Zeichner seiner Zeit machte – obschon kaum eine Zeitung diesen Quotenkiller freiwillig abdruckte. Das ist vermutlich eine der wenigen wirklich sympathischen Geschichten, die sich über Hearst erzählen lassen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella