Humorkritik | November 2007

November 2007

Von Strunk zu Brandl

Das kann ja überhaupt nicht gutgehen, dachte ich, nachdem ich auf dem ­Buchrücken des ­Romans »Halbnackte Bauarbeiter« von ­Martina Brandl gelesen hatte, worum es ging: »Wenn deine Sexfantasie sich an der Dönerbude vor dir materialisiert und fragt: ›Willst du heute Nacht meine Fremdenführerin sein?‹, und du antwortest: ›Ach, danke, vielleicht ein andermal, ich will gerade mit meiner Mitbewohnerin ›Golden Girls‹ gucken‹, dann kannst du dir selbst eine reinhauen – oder dich auf die Suche machen…« Doch die Befürchtung, es handele sich hier um einen dieser forciert heiteren, von Zoten und Zynismen durchsetzten Frauenromanverschnitte, also um Dutzendware, erwies sich als unbe­gründet. Ich kann zwar nicht behaupten, daß ich sonderlich erpicht darauf gewesen wäre, Näheres über den Hormonhaushalt, die Waffel­haut und die Männerbekanntschaften einer 38jährigen Berliner WG-Bewohnerin zu erfahren, aber ich interessiere mich auch nicht für die Akne von Schützenfestmusikanten und habe trotzdem mit dem allergrößten Vergnügen »Fleisch ist mein Gemüse« von Heinz Strunk gelesen.

 

»Halbnackte Bauarbeiter« ist in mancher Hinsicht das weibliche Pendant zu Strunks Roman über die Nöte eines sexuell dramatisch unterversorgten Hagestolzes. Martina Brandls Heldin Ute gesteht sich ein, daß »es sich nicht mehr so gut macht, wenn ich auf der Seite liege, weil dann nicht nur meine Brust, sondern auch die Hälfte meines ­Gesichts in unschöner Weise auf das Bettlaken fällt«. Ein »Freiluftabenteuer« auf der Pfauen­insel beginnt verheißungsvoll und ­endet unbefriedigend: »Wie zwei Puzzle-Teile, die nicht zusammenpaßten, hatten wir uns auf der nassen Wiese ineinander verkantet. Was wie lebensverändernder Sex angefangen hatte, war übergegangen in nonverbale Fehlkommunikation: Zwei Körper, die sich nicht auf Anhieb verstehen. Wenn man gerade in entfesselter Leidenschaft die Zähne in des anderen Hals geschlagen hat, dann sagt man nicht im nächsten Augenblick: ›Faß mir nicht mit der flachen Hand ins Gesicht; das kann ich nicht leiden.‹«

 

Für die Leser gibt es hier erheblich mehr zu lachen als für die Erzählerin. Die Pointen­dichte ist enorm, die Dialoge sitzen wie angegossen, und als sich einmal zwei Prolls in der U-Bahn breitmachen (»Sie waren zu zweit, sie waren voll mit Testosteron, und sie unterhielten sich in einer mir unbekannten Sprache«), untertitelt die Erzählerin das ihr unverständliche Gebrüll: »›Ey, Alter, das is’ echt ’n Scheißdreck gegen meine neuen Stretchjeans, damit kann ich die Beine so weit auseinander machen, daß ich sogar in den U-Bahnen mit diesen Querbänken längs zur Fahrtrichtung den halben Wagen alleine besetzen kann.‹«

 

Und doch ist dieser Roman, bei aller ­Komik, nicht albern, sondern durchaus ernst grundiert und eine Nummer zu groß für das handels­übliche Witzbücherregal. Weil er aber nur broschiert im ­Scherz-Verlag erschienen ist, haben unsere vernagelten Literatur­kritiker ihn von seinem Erscheinen im Jahr 2006 bis heute komplett ignoriert: Bei perlentaucher.de ist keine einzige Rezension verzeichnet. Nicht einmal ein Verriß ist ­irgendwo erschienen, nein: rein gar nichts. Zum mehr als fünzigtausendmal verkauften Bestseller ist das Buch allein durch Qualität und Mundpropaganda geworden, den Feuille­tons zum Hohn und dem mir unverständlichen Amazon-Kundengemecker zum Trotz. Respekt!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Du, »MDR«,

gehst mit einer Unterlassungserklärung gegen die sächsische Linke vor, weil die im Wahlkampf gegen die Schließung von Kliniken plakatiert: »In aller Freundschaft: Jede Klinik zählt.« Nun drohen juristische Scharmützel nebst entsprechenden Kosten für beide Seiten. Wie wäre es, wenn die Linke ihr Plakat zurückzieht und im Gegenzug nur eine einzige Klinik schließt? Die Ersparnisse dürften gewaltig sein, wenn die Sachsenklinik erst mal dichtgemacht hat.

Vorschlag zur Güte von Deinen Sparfüchsen von Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster