Humorkritik | Juni 2007

Juni 2007

Mein Gott ist’s, der mich zugericht’

Als Komiker ist der protestantische Kirchenlieddichter Paul Gerhardt wenig hervorgetreten. Gleichwohl lohnt es sich, ihn zu lesen und dabei die Augen offen zu halten: Wer nämlich bei der Lektüre wach bleibt, gewahrt bald die kleinen lustigen Ausreißer, die sich Gerhardt in aller christlichen Einfalt erlaubt. Da wird das Wörtchen »ab« zu einem drolligen »abe« gestreckt, damit es sich artig auf »Gabe« reimt: »Hier reis ich aus und abe, / Dort, in der ewgen Ruh, / Ist Gottes Gnadengabe«; ähnlich wird das knappe »Wem« zum »Weme« aufgedunsen, damit es in den Versfuß paßt: »Weme wird das Erdreich naß / von dem Tau und Regen? / Weme grünet Laub und Gras? / Weme füllt der Segen / Berg und Tale, Feld und Wald?«

 

Ihme, dem Menschen, muß die Antwort wohl lauten. Deme füllt Gott aber nicht nur Berg und Tale, sondern sorgt auch fürs Fleisch auf den Rippen, denn, so fragt Gottes Sprachrohr Gerhardt Seinen frommen Kunden: »Durch wessen Kunst steht dein Gebein / In ordentlicher Fülle? / Wer gab den Augen Licht und Schein, / Dem Leibe Haut und Hülle? / Wer zog die Adern hier und dort / Ein jed an ihre Stell und Ort? / Wer setzte hin und wieder / So viel und schöne Glieder?«

 

Fürwahr, schon der Säugling preise darum als Erwachsener den Allgewaltigen, denn: »Die Milch, die du erst nahmest, / War auch schon, da du kamest.« Wenn Paul Gerhardt dann noch das »Lustgeschrei der Schaf und ihrer Hirten« ganz frei vom Hintersinn bejauchzt und sich mit Wonne seine eigene, ganz persönliche Auferstehung ausmalt: »Da werd ich eben diese Haut / Und eben diese Glieder, / Die jeder itzo an mir schaut, / Auch was sich hin und wieder / Von Adern und Gelenken findt / Und meinen Leib zusammen bindt, / Ganz richtig wieder haben« – dann füllt der Segen solch putziger Poesie nicht nur Berg und Tale, sondern es freuen sich auch Leib und Seel’.

 

Möglicherweise ist ja überhaupt alle Lyrik, die ihre Sprache metrisch zurechteumeln muß, von Haus aus ein wenig komisch; aber daß selbst der Allmächtige nicht vermochte, es seinem treuen Panegyriker Gerhardt zu ersparen, sich ein wenig lächerlich zu machen, das macht die Sache m. E. besonders heiter. Doch Gerhardt schickt sich drein: »Du bist ein Mensch, du weißt es wohl«, weiß der brave Mann: »Ich bin ja von mir selber nicht / Entsprungen noch formieret, / Mein Gott ist’s, der mich zugericht’, / An Leib und Seel gezieret: / Der Seelen Sitz / Mit Sinn und Witz, / Den Leib mit Fleisch und Beinen. / Wer so viel tut, / Des Herz und Mut / Kann’s nimmer böse meinen.« Genau wie Paul Gerhardt, der wackere protestantische Kirchenliedkomiker.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster