Humorkritik | Juni 2007

Juni 2007

Abschreiber Haff

Kreuzfahrten seien, sagt man, ein Boomgeschäft: Jeden Tag erscheinen neue Luxusschiffe, und beinah jeden Tag geht ein neues Buch zum Thema Kreuzfahrten vom Stapel. Ganz überflüssigerweise, denn das beste zum Thema ist längst erschienen, nämlich »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich« (Goldmann TB) von David ­Foster Wallace. Wie schrieb ich hier so richtig im November 2003 über dieses exzeptionelle und bitterkomische Lesevergnügen? So: »Freimütig und ungebremst berichtet Wallace, wie er auf eine sog. Traumreise geschickt wurde, wie aus einer Auftragsarbeit für das amerikanische Harper’s Magazine schließlich dieses Büchlein entstand, das jeder ehemalige oder angehende Gruppenreisende gelesen haben sollte.«

 

Diesen Rat hat wohl auch der hochangesehene, hoch auf dem Zürcher Kilchberg residierende Schriftsteller Peter Haff befolgt, denn er schrieb, als er sich an sein eigenes Kreuzfahrtbuch machte (»Acht Stockwerke über der Wirklichkeit«, Luchterhand Verlag), einfach bei Wallace ab.

 

Beispiele gefällig? So schreibt DWF: »Ebenfalls kein Zufall ist, daß diese 7NC-Luxus-Kreuzfahrten vor allem ältere Leute ansprechen. Ich meine nicht steinalt-abge­lebt, sondern die Altersgruppe der Über-Fünfzigjährigen, denen die eigene Hinfälligkeit kein abstrakter Begriff mehr ist.« Bei Peter Haff wird daraus: »Diese Art von Luxus­kreuzfahrten schien vor allem ältere Gäste anzusprechen, nicht steinalte, sondern jene Altersgruppe der über Fünfzigjährigen, denen die eigene Hinfälligkeit kein abstrakter Begriff mehr war.«

 

An anderer Stelle heißt es bei Wallace: »Die Gespräche mit Winston waren zuweilen so deprimierend, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, mit ihm meine Spielchen zu treiben. Er war aber nie beleidigt oder ließ sonstwie erkennen, daß er die Verarsche begriff, so daß ich mich später etwa so mies fühlte, als hätte ich einem blinden Bettler das Kleingeld geklaut.« Und bei Peter Haff: »Die Bilder waren so deprimierend, daß ich mir einen ironischen Kommentar kaum verkneifen konnte. Die Frau war weder beleidigt, noch gab sie zu erkennen, daß sie die Ironie durchschaut hätte, schließlich plagte mich das schlechte Gewissen, als hätte ich einem blinden Bettler die letzten Groschen aus seinem Hut geklaut.«

 

Und Wallace zum dritten: »Trotzdem ist es mir jedes Mal peinlich, die x72 zu wählen, um mir, nach den elf Tafelgelegenheiten am Tag, noch zusätzliche Kost herankarren zu lassen. Und weil es mir so peinlich ist, verteile ich alle meine Arbeitsmaterialien wie Hefte, Kladden, Stifte und den ›Fielding’s Guide to Worldwide Cruising‹ usw. möglichst effektiv auf dem Bett, um dem Zimmerkellner dadurch zu signalisieren, die Kabine sei in Wahrheit ein Arbeitsplatz und Ort fieberhaften Feilens an den höchsten Gipfeln der Literatur, weswegen ich eben jede Mahlzeit vergesse und also guten Grund habe, mir etwas kommen zu lassen.« Was beim Schmarotzer Haff so kommt: »… kommt sich, wenn er nicht ganz abgebrüht ist, schon mal als Schmarotzer vor. Bei mir hatte dieses Gefühl zu Alibi-Handlungen geführt; in meinem Studio sah es nach ungeheuer viel Arbeit aus, überall verstreute Notizhefte und Skizzenblocks, die Schreibmaschine mit eingespanntem Papier, Bleistifte und aufgeschlagene Bücher. Am Nachmittag erweckte mein Tisch den Eindruck, als säße hier ein fieberhaft tätiger, von früh bis spät in literarischen Höhen schwebender Mensch…«

 

Den Eindruck, daß sich Haff seine literarischen Höhen gerne woanders holt, wird man nun nicht mehr los. Darauf aufmerksam gemacht hat mich die wachsame Flensburger Buchhändlerin Sinje Hansen: »Ich war wirklich böse, nachdem ich den Haff gelesen hatte, und habe alle Exemplare, obwohl gerade erst erschienen, sofort remittiert. Ausgerechnet der Haff, der immer so distin­gu­iert auftritt…«

 

Ihr gebührt herzlichen Dank. David Foster Wallace für sein schönes Buch aber auch. Und selbstverständlich Herrn Peter Haff, ohne den diese Einlassung bestimmt nie zustande gekommen wäre.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Na, na, na, welt.de!

»Warum ›Barbie‹ klüger ist als alle anderen nominierten Filme zusammen«, titeltest Du in Deinem Feuilleton bezüglich der diesjährigen Oscar-Kandidaten. Allein: Wir haben noch mal den Taschenrechner gezückt, und wenn man auch die Dokumentar-, Kurz- und Dokumentarkurzfilme berücksichtigt, sind alle anderen nominierten Filme zusammen exakt 1,76 Klugheitspunkte klüger als »Barbie«.

Welches Medium dümmer ist als alle anderen Medien zusammen, braucht hingegen nicht nachzurechnen: Titanic

 Einfach mal kreativ sein, Rishi Sunak!

Der BBC sagten Sie: »Ich bin nicht sicher, ob sich die Leute so sehr für meine Ernährung interessieren, aber ich versuche, zu Beginn jeder Woche etwas zu fasten.« Wir glauben, dass Ihre Unsicherheit berechtigt ist: An Ihren Beliebtheitswerten kann man ablesen, dass sich das Interesse an Ihren Gewohnheiten in Grenzen hält.

Das ließe sich aber leicht ändern: Bei den ganzen verschiedenen Varianten wie TV-, Auto- und Plastikfasten gäbe es bestimmt auch für Sie etwas, durch das Sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit »eight days a week« auf sich zögen. Wie wäre es z. B. mit Abschiebungsfasten, Verbrennerverbotverzögerungsfasten oder Zweiteamtszeitfasten?

Nur dass Sie gerade beim Thema »Neuwahlen« dem Verzicht huldigen, sollten Sie nach Ansicht der Mehrheit Ihrer Landsleute schleunigst ändern. Zwischendurch kann man sich doch auch ruhig mal was gönnen, oder?

Mampft Ihre Scones mit Clotted Cream und reichlich Marmelade gleich mit: Titanic

 Bonjour, Marine Le Pen!

Bonjour, Marine Le Pen!

Das Potsdamer Treffen der AfD mit anderen extremen Rechten war selbst Ihnen zu heftig: Sie seien nie für eine »Remigration« in dem Sinne gewesen, dass Französinnen und Franzosen ihre Nationalität entzogen würde, selbst wenn die Einbürgerung unter fragwürdigen Bedingungen geschehen sei, meinten Sie und fügten hinzu: »Ich denke also, dass wir, wenn es denn so ist, eine krasse Meinungsverschiedenheit mit der AfD haben.«

Keine Ahnung, Le Pen, ob Sie mit dieser Haltung eine Chance aufs französische Präsidentenamt haben. Ministerpräsidentin von Thüringen würden Sie mit diesem Weichei-Schlingerkurs aber ganz sicher nicht!

Schon ein bisschen enttäuscht: Titanic

 Dir, Tod,

gefiel es im Jahr 2010, im Abstand von einem Tag Bärbel Bohley (11. September) und Claude Chabrol (12. September) abzuberufen, worauf wir damals in unserer Online-Rubrik »Fakt vs. Frage« scharfsinnig spekulierten, als Nächstes treffe es nun wohl Dieter Dehm, Erhard Eppler und Frank Farian. Knapp daneben! Denn Frank Farian holtest Du erst dieses Jahr, am 23. Januar – nicht ohne vorher noch die Büchnerpreisträgerin Elke Erb (22. Januar) abzuräumen.

Und langsam durchschauen wir Dich, Gevatter: A darf leben, B und C müssen sterben; D darf leben, E und F müssen sterben …

Um es kurz zu machen: Gundula Gause ist, trotz ihres boulevardmedial großflächig breitgetretenen Schwächeanfalls vom Dezember (Bild: »total unnötig«, »hätte mich krankmelden sollen«), fürs Erste fein raus, während Heimatsänger Hansi Hinterseer und Malertochter Ida Immendorff sich lieber schon mal das letzte Hemd anziehen sollten. Stimmt’s?

Gruselt sich vor der Antwort: Titanic

 Moin, Hamburger Craft-Brauerei ÜberQuell!

Dein Firmenname zeugt ja bereits von überschäumender Wortspiellust, aber so richtig freidrehend auf die Kacke haust Du erst bei den Bezeichnungen Deiner einzelnen Biersorten: Die heißen nämlich zum Beispiel »Supadupa IPA«, »Palim Palim Pale Ale«, »Pille Palle Alkoholfreies Ale« oder sogar »Franzbrewtchen Imperial Pastry Brown Ale«. Auweia!

Gerade bei Letzterem, das außerhalb Hamburgs von vielen gar nicht zu entschlüsseln sein dürfte, mussten wir, obschon viel gewohnt, dann doch schlucken, weil uns allein der Name innerhalb von Sekunden pappsatt und sturzbetrunken machte. Er erschien uns einfach zu brewtal, fast schon brauenhaft! Auf Dein Bier haben wir dann lieber verzichtet.

Aus der Ausnüchterungszelle grüßt trotzdem: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Und das Brot erst!

Einen Krankenwagen rufen, ohne sich in Schulden zu stürzen, mehr Urlaubs- als Arbeitstage, Bier zum Frühstück: Deutschland ist toll. Mit solchen Takes können US-amerikanische Influencerinnen hierzulande natürlich punkten. Aber betreiben sie damit nicht einfach nur billiges Kraut-Pleasing?

Alexander Grupe

 Lauf, Junge!

Die Ordner bei einem Fußballspiel würden sich wesentlich mehr Mühe geben, wenn sie bei der Jagd nach dem Flitzer auch nackt sein müssten.

Rick Nikolaizig

 Pandemisches Passionsspiel

Die Erfahrungen aus der Coronazeit wirken teils immer noch nach. So fragt man sich heute bei der Ostergeschichte: Hat Pontius Pilatus, als er seine Hände in Unschuld wusch, dabei zweimal »Happy Birthday« gesungen?

Jürgen Miedl

 Authentisch

Jedes Mal, wenn mir ein bekennender Feinschmecker erklären will, wie aufwendig ein echt italienisches Risotto zubereitet gehört, habe ich das Gefühl, es würde stundenlang um den heißen Brei herumgeredet!

Mark-Stefan Tietze

 Nach Explosion in der Molkerei

Alles in Butter.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
21.03.2024 Bamberg, Konzerthalle Martin Sonneborn
21.03.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
22.03.2024 Bayreuth, Zentrum Martin Sonneborn
22.03.2024 Winterthur, Bistro Alte Kaserne »Der Unsinn des Lebens« mit Pause ohne Ende