Humorkritik | Januar 2007
Januar 2007
Zwanzig gegen einen
Nicht irgendein Pimperles-, nein, das hochrenommierte Brechttheater »Berliner Ensemble« hat ein Programm mit Gedichten und kurzen Prosastücken von Robert Gernhardt auf die Bühne gebracht. Eine gute Idee. Womit aber auch schon alles gelobt wäre, was es an dem Unterfangen zu loben gibt, denn das Resultat ist eine einzige Katastrophe.
Es braucht ja nun wirklich nicht viel zu einem gelungenen Gernhardt-Abend: eine kundige, stimmige Zusammenstellung der Texte und einen Rezitator, der auf deren Wirksamkeit vertraut und sie ohne Brimborium, aber mit Pointen- und Stilgefühl zu Gehör bringt. Das freilich wäre viel zu unaufwendig, um zwanzig staatlich alimentierte Theaterleute in Lohn zu setzen – so viele waren laut Programmheft an der BE-Produktion beteiligt: Es gab eine Regisseurin (Jutta Ferbers) und zwei Lichttechniker und einen Inspizienten und eine Souffleuse und jemanden für die Kostüme und jemanden für die Maske und jemanden für die Einstudierung der Musik und und und – mit welchem Ergebnis? Sechs Schauspieler agieren mit der Subtilität von Kinderclowns und trachten ihre Unfähigkeit, einen komischen Text vorzutragen, durch schwerst überkandideltes Grimassieren und Gestikulieren zu kaschieren. Bei dem Gehudel und Geplärr werden schon mal zwei Drittel eines Gedichts vergessen – macht nichts, man geht ja nicht zu einem Gernhardt-Programm, um Texte zu hören, sondern um Schauspieler sich produzieren zu sehen.
Und dann erst diese wichtigtuerischen schwarzen Klamotten! Diese weißgepuderten Pantomimengesichter! Diese Bühne, die keine Bühne ist, sondern eine weiße Schräge, die zum Ausdruck bringen soll: Das ist heute aber mal was ganz Schräges! Und dann dieses auf der Schräge verteilte Goldglitterzeug, das zum Ausdruck bringen soll: Wir hatten im Theaterfundus noch einen Sack Goldglitterzeug vom letzten Feenmärchenstück übrig! Und dann erst diese wurmstichigen Regieeinfälle! Was macht man vor Tiergedichten? Lustige Tiergeräusche. Was macht man während eines Gedichts über das Vergehen der Zeit? Tick-tack, tick-tack. Was macht man nach einem Gedicht über Alkoholkonsum? Vom Hocker fallen und sich im Goldglitterzeug wälzen. Ich habe nicht mit vierzehn unter Protest die Schultheatergruppe verlassen, um jetzt auf der alten Brecht-Bühne mit exakt demselben abgetakelten Inszenierungsquatsch belästigt zu werden, den ich damals zu spielen verweigert habe.
Schweigen wir vom grauenhaft sinnhuberischen (wiewohl Gernhardt zitierenden) Programmtitel »Gespräche mit dem Engel«. Schweigen wir auch von der Textauswahl, die alles zu einem konturlosen Mansch durcheinanderrührt: Gernhardts ausgelassene frühe Nonsensstücke und seine bedrückenden letzten Krankheitsgedichte und, weil’s eh schon wurscht ist und sowieso keiner merkt, mehrere Texte, die ganz oder teilweise aus der Feder von F.K. Waechter, F.W. Bernstein, Bernd Eilert und Peter Knorr stammen – wozu noch große Worte machen, da doch mein Begleiter, der gleichfalls erschütterte Augenzeuge Bernstein, die künstlerische Gesamtleistung auf nur einen Begriff brachte: »Beschissen.«
Ich will meinem Kollegen Gernhardt sel. wünschen, daß er sich auf einer Wolke eingerichtet hat, wo er das Theater am Schiffbauerdamm nicht empfangen kann. Andernfalls möge ihm wenigstens sein alter Kollege Kurt Tucholsky Trost spenden; dem nämlich ging es seinerzeit nicht besser. 1929 schrieb er Kate Kühl, die sich neue Chansontexte von ihm gewünscht hatte, einen Absagebrief: »Vom Cabaret habe ich mich – wie vom Theater – fast ganz zurückgezogen, und zwar aus einem ganz bestimmten Grunde… Es ist vor allem dies: Ich gebe einen Text heraus. Ich höre ihn, sagen wir: leise, gedehnt, ganz zart, fein…, und denn komm ick hin: und da steht einer und hat sich vielleicht eine Ritterrüstung angezogen und bläst den Text durch ein Megaphon… Und darum mag ich kaum noch.«
Deutsches Regietheater. Seit achtzig Jahren erfolgreich in der Versaubeutelung von Komik.