Humorkritik | Januar 2007

Januar 2007

Führer Helge und andere…

Was mir auf den ersten Blick an Dani Levys Film »Mein Führer« mißfallen hat, ist der Untertitel: »Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler«. Eine derartig neckische Verniedlichmachung hat diese Komödie nicht verdient. Eine Komödie ist es nämlich, eine mit Adolf Hitler als komischer Figur, und sie ist besser als ihre Annonce.

 

Gut ist sie allerdings auch nicht. Dazu fehlt Levy die konsequente Lässigkeit im Umgang mit dem Stoff, den er leider doch für heikel hält. Ein dunkler Drang, das ganze Unterfangen gegen vermutete Kritik vorauseilend in Schutz zu nehmen, ist von der ersten bis zur letzten Zeile unüberhörbar. Gerade hier, am Anfang und zum Schluß, erzählt der Jude Adolf Grünbaum nicht nur, nein, er versucht, Verständnis zu wecken für sein Verhalten, und das macht es zunächst schwieriger, sich auf das einzulassen, was er erlebt. Ein Hauch von gutgemeinter Volkshochschule trübt die Vorfreude auf das folgende Gedankenspiel, dessen Ausgangspunkt durchaus historisch belegbar wäre und deswegen so reizvoll scheint.

 

Als ich vor gut drei Jahren die Erinnerungen des Opernsängers Paul Devrient an seine Zeit als Adolf Hitlers persönlicher Rhetoriktrainer gelesen habe, fand ich die Lektüre, genau wie Levy, äußerst anregend. Bestimmt waren wir mit unserem Eindruck nicht allein: Die Situation im Jahre 1932 war so komikträchtig, daß ein Komödienautor kaum umhin konnte, auf ihren Möglichkeiten herumzudenken: Adolf Hitler ist angeschlagen von zu vielen Wahlkampfeinsätzen, deswegen wird für ihn ein professioneller Coach engagiert, um die Sprechtechnik des Starredners zu verfeinern und so zu gewährleisten, daß dessen Stimme den Belastungen der monatelangen Deutschlandtour standhält. Diese Maßnahme unterliegt natürlich strengster Geheimhaltung, um den Verdacht, die Leidenschaften des Führers seien nur vorgespielt, gar nicht erst aufkommen zu lassen.

 

Soweit die Vorgeschichte. Bei Levy ist aus Paul Devrient der Adolf Grünbaum geworden, der zu Weihnachten 1944 aus dem KZ geholt und in die Reichskanzlei verbracht wird, um den depressiven Hitler fit zu machen für eine große Neujahrsansprache in Berlin. Diese Veränderungen hängen wie schwere Klötze am Gerüst der Komödie, die Levy nun schulmäßig entwickelt.

 

Sein Ehrgeiz, das Finale in eine Art Cyrano-Situation münden zu lassen (Grünbaum spricht, Hitler agiert lippensynchron dazu), erfordert Wendungen, die meine Glaubensbereitschaft schon arg strapazierten. Noch belastender fand ich, daß Grünbaums Handlungsweise vor diesem blutigen Hintergrund immer wieder vor ihm selbst und seiner Familie, die er nachkommen lassen konnte, gerechtfertigt werden muß. Denn der Jude Grünbaum ist ein herzensguter Mann; die traurigen Augen von Ulrich Mühe – können sie lügen? Nein, mit den selbstverliebten, intriganten polnischen Schauspielern, die in Lubitschs »Sein oder Nichtsein« (Levys erklärtes Vorbild) eher unfreiwillig Heldentaten vollbringen, hat das natürlich nichts gemein. Die Lacher liegen allein bei den Nazis, vor allem bei den namhaften. Übrigens gingen mir auch die ausgesprochen kinderpsychologischen Erklärungsversuche für Hitlers Dämonie zunehmend auf die Nerven.

Doch Levy hat einen Trumpf, der all diese Konstruktionsmängel locker übersticht.

 

Der Einfall, Hitler von einem genuinen Komiker darstellen zu lassen, mag naheliegend gewesen sein – Helge Schneider für diese Rolle zu gewinnen, war ein Volltreffer. Hier hat Levy den Mut bewiesen, den er in manch anderer Hinsicht vermissen läßt.

 

Doch welche Komödie hat in diesem Jahr schon mutig alle Konsequenzen gezogen? »Der Teufel trägt Prada« und »Thank You For Smoking« schreckten vor dem eigenen Zynismus mehr oder weniger rasch zurück, »Wo ist Fred« verrät sein Thema für ein paar billige Scherze – hier hätte ein Rollentausch der beiden männlichen Hauptdarsteller übrigens gutgetan –, und Woody Allens »Scoop« ist ein liederlich zusammengehudelter Schuß in den Ofen. Bleibt eigentlich nur »Borat«, der, furchtlos mögliche Mißverständnisse in Kauf nehmend, seine aufklärerische Tendenz jenseits der Grenzen des guten Geschmacks bis zu einem Ende verfolgt, das nebenbei noch die übliche Verlogenheit bittersüßer Verlogenheiten entlarvt. So weit geht Levy leider lange nicht.

 

Doch wenn Schneider unter seiner Maske hervoräugt und die Führer-Figur seiner eigenen annähert, entstehen komische Momente, die das schwankhafte Räderwerk stillstehen und uns ahnen lassen, was für ein Film in dieser Konstellation gesteckt hätte, wenn Levy ihr mehr getraut und sich mehr Zeit dafür gelassen hätte.

 

Oder bin ich zu streng und mache den alten Kritikerfehler, den vorliegenden Film an dem zu messen, den ich lieber gesehen hätte? Ich muß nämlich zugeben, daß ich an dem, was Levy daraus gemacht hat, auch so meinen Spaß hatte. Unbekümmert von meinem ewigen Besserwissen.

 

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg