Humorkritik | September 2006

September 2006

Ohne Worte mit Milt Gross

Wenn ein Autor sein Buch im Untertitel persönlich als »The Great American Novel« anpreist, weckt er bei mir eher Skepsis denn hohe Erwartungen. Ergänzt er jedoch seine lärmige Unterzeile um den koketten Zusatz »(with no words)« – dann kann ich der Versuchung nicht widerstehen, dem Buch eine Chance zu geben. Bereut habe ich es in diesem Fall auf keiner Seite: Milt Gross’ Bildroman »He Done Her Wrong«, erstmals 1930 erschienen, ist ein schwindelerregender Mix aus Stummfilm-Klamotte, Vaudeville-Slapstick und Trickfilm-Hysterie, rasant, voll anarchischem Nonsens und vor allem brillant gezeichnet.

 




 

Aber alles schön der Reihe nach: Trapper im hohen Norden verliebt sich in schöne Saloonsängerin; diese willigt in Heirat ein; Trapper verdingt sich zwecks Familienunterhalts bei windigem Pelzhändler; Schöne wartet in New York auf Trapper; Händler zieht Trapper über den Tisch; Schöne ehelicht Händler; Händler verspielt sein Vermögen; Schöne (nun mit zwei Blagen) landet in der Gosse; Trapper (immer noch mit Biberfellmütze) landet endlich in der Großstadt, und weiter geht’s mit skrupellosen Kapitalisten, sturen Bürokraten, einer mannstollen Witwe (mit Chihuahua) …– doch am Ende, nach tausenderlei Verwicklungen, kommt alles irgendwie (aber auch nur irgendwie) ins Lot.

Genaugenommen verarbeitete Gross einen ernsthaften Stoff, erzählte er doch vom mühsamen Überleben in den Jahren nach dem Börsenkrach. Im Gegensatz zu den wortlosen Bildergeschichten seiner Zeitgenossen, den seriösen Expressionisten Frans Masereel, Lynn Ward und Otto Nückel, inszenierte Gross die existentielle Achterbahnfahrt seiner Protagonisten nicht als bitterernstes Sozialdrama, sondern als eine überschäumende Tragikomödie mit angenehm schwarzer Tapezierung.

Der 1895 in der Bronx geborene Milt Gross, der auf Fotos Charles Chaplin verblüffend ähnlich sieht, war ein Universalkünstler: Er zeichnete mehrere Comic-Strip-Serien, verfaßte Drehbücher für Hollywood (so soll er an Chaplins »The Circus« mitgewirkt haben), inszenierte zwischen 1917 (»The Ups and Downs of Mr. Phool Phan«) und 1939 (»Jitterbug Follies«) fünfzehn Zeichentrickfilme und war zu Lebzeiten so berühmt wie er heute vergessen ist. »He Done Her Wrong« gilt als sein bestes Werk – es war aber jahrzehntelang vergriffen und ist erst jetzt vom amerikanischen Comicverlag Fantagraphics Books wiederveröffentlicht worden.

They done, wenn ich so sagen darf, him right.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg