Inhalt der Printausgabe

September 2006


Das ist der vierte Weltkrieg!
Was am 11. September wirklich passierte.
(Seite 4 von 4)

Es war nun an der Zeit, sich einen aktuellen Scherz auszudenken, mit dem man elegant die abendliche Lesung einleiten konnte. Vielleicht: »Nein, diese Amis!«
Der Mann sagte zu seinem Handballen: »Das ist der vierte Weltkrieg.« Hatte ich etwas verpaßt? Ich sah vor mir die Bilder deutscher Soldaten, die mit der Eisenbahn zur Front des ersten Weltkriegs fuhren. Dumme junge Männer, mordgierig und sterbefroh. Sie beugten sich lachend aus den Fenstern und winkten. Solche Bilder waren heute nicht mehr möglich. ICE-Fenster ließen sich nicht öffnen.
Die erfolgreiche Stimme meldete den Einsturz des zweiten Turmes. »Der Nordturm.« Türme, deren Aussichtsplattformen so ordentlich mit Geländern gesichert waren, daß man nicht einmal jemanden hätte runterschubsen können, krachten einfach zusammen. In New York. Wo Rudolph Giuliani Bürgermeister war. Mit seiner Theorie von null Toleranz und Broken Windows: Eine kaputte Scheibe, die nicht sofort repariert werde, ziehe die Verwahrlosung des ganzen Hauses nach sich. Wie recht er hatte.
 
Eine alte Villa, Hochparterre, die Redaktion.
»Hallo!« rief ich in den Flur. »Hallo?«
Eine Stimme behauptete: »Hier!«
»Wo?«
»Hier, wir sind hier hinten.«
Ich blieb in der Zimmertür stehen. Blickte in bestürzte Satirikergesichter, die an mir vorbeistarrten. Neben der Tür stand der Fernseher.
»Weiß man, wer’s war?«
»Palästinenser? Nazis? Verrückte?«
»Wieviele Tote?«
Im Fernseher ein Flugzeug, das in einen Turm stieß.
»Zwanzigtausend?«
Im Fernseher ein Flugzeug, das in einen Turm stieß.
»Vierzigtausend?«
Ich sagte: »Das ist viel.« Und probierte gleich die Einleitung für den Abend: »Nein, diese Amis!« Keiner lachte. Ich würde mir also eine noch lustigere Eröffnung ausdenken müssen.
Die Lesung sei abgesagt, sagte der Chefredakteur. Die Leute würden sich heute doch eher einen Fernsehabend machen. Und die zwei, drei, die vielleicht kommen würden, naja. Er gab mir zweihundert Mark. »Für die Fahrkarte.«
Die hatte 217 gekostet. Und abgemacht waren vierhundert, alles in allem. Eine Reklamation schien mir angesichts der Abertausenden von Toten pietätlos. Am Vorabend des dritten oder vierten Weltkriegs (das würde man den Historikern überlassen müssen) hatten private Interessen zurückzustehen.
»Ist doch okay, oder?«
»Ja, sicher«, sagte ich.
»Schick mal was, ’ne Geschichte oder so.«
»Mach ich. Kann ein bißchen dauern.«
 
Um halb zwei in der Nacht war ich wieder zuhause. Ich kramte die Piratenklappe aus dem Apothekenschränkchen, mein Souvenir aus New York, und legte sie an. Inzwischen war ein viertes Flugzeug gefunden worden, abgestürzt auf freiem Feld.
Ich beneidete die Entführer. Sie waren die Loser des Tages. Alle anderen brachten ihre Dinger ins Ziel, nur sie nicht. Und tot waren sie trotzdem. Eine Dimension des Mißerfolgs, von der ich nur träumen konnte.
Ich tippte die Nummer meines Weltrevolutionskumpels. Nach langem Klingeln sprang der Anrufbeantworter an. Keine Ansage. Es piepte sofort, dann rauschte das Band. Ich sagte: »Ey, hör mal. Hör mal her. Ich sag dir jetzt mal was. Warte fünf Minuten, dann bekommst du eine schlagfertige Antwort.«

 
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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg