Inhalt der Printausgabe

September 2006


Das ist der vierte Weltkrieg!
Was am 11. September wirklich passierte.
(Seite 1 von 4)

Von Bov Bjerg
 
Die Frau stand am Geländer der Aussichtsplattform und schaute zum Dach des anderen Turms hinüber: ein Antennenmast, Warnschilder, rote Lampen (Flugsicherung).
Sie drehte den Kopf zur Seite, Haare schwappten über die Nase, sie rief: »Komm doch her! Die würden einen hier doch gar nicht hochlassen, wenn das irgendwie gefährlich wär.« Ich setzte den Fotoapparat an, Frauen am Geländer, aber man kann kein Foto machen ohne hinzuschauen.
Dann stand ich bei ihr. Umklammerte den Handlauf und ging in die Knie. So lag der Schwerpunkt etwas tiefer. Sie: »Trau dich!«
Ich öffnete die Augen.
Sie: »Ab dreißig, da kommt die Höhenangst. Bierbauch, Impotenz, Höhenangst. Der geheime Dreiklang der Männer ab dreißig.«
Ich zupfte eine Fluse von ihrer Jacke und pustete sie gegen den Wind. Die Fluse landete in meinem Auge. Am Abend entzündete sich das Auge, schwoll an und klebte zusammen, und ich schlenderte für den Rest unseres Aufenthaltes mit einer Piratenklappe aus dem Sanitärfachgeschäft durch New York.
Zwei Jahre später saß ich im Zug nach Frankfurt am Main. Die Redakteure einer kleinen Satirezeitschrift hatten mich endlich einmal eingeladen, mit ihnen zu lesen. Das Großraumabteil war fast leer. Ich begann sofort, meine Geschichten zu sortieren. Eine Marotte. Zu jeder Lesung nehme ich alles mit, was ich je geschrieben habe, und sobald ich im Zug saß, suchte ich die Texte heraus, von denen ich dachte, daß sie zu diesem Tag, diesem Ort, diesem Publikum besonders gut paßten.
Am Abend würde es darauf ankommen, Stücke vorzulesen, die einerseits eigen genug waren, sich von den launigen Aktualitäten der Frankfurter Kollegen zu unterscheiden; andererseits durften sie nicht so abseitig sein, daß sie das spottversessene Publikum nicht mehr erreichten. Geschichten also, die die Grenze vom geselligen Witz zum einsamen Wahnsinn gerade noch nicht überschritten hatten.
Ein Tanz auf dem Seil bzw. auf dem Vulkan o. ä. Auf der einen Seite: Unauffälligkeit, Durchschnitt, Epigonentum; daraus folgte ein wohlwollendes, blubberndes Lachen, nach dem letzten Satz vornehm gedämpftes Applausgeklapper. Auf der anderen Seite: Idiosynkrasie, Zungenreden, Mackenreiten. Daraus folgte verständnisloses Schweigen des Publikums. Ein Seiltanz (bzw. auf dem Vulkan o. ä.), für den ich mich schämte. Ich träumte von einer Strategie der Verweigerung, der erfolgreichen Verweigerung, hatte aber noch keine Antwort gefunden auf die Frage, woran man den Erfolg der Verweigerung würde erkennen können außer am Mißerfolg. Einem Mißerfolg, dem man nicht ansah, ob es ein gewöhnlicher, gleichsam aus Nichtskönnen, Faulheit und Unfähigkeit organisch erwachsener Mißerfolg war, oder ein hart erarbeiteter, der beständigen Verweigerung abgerungener.
Der letzte wirklich hart erarbeitete Mißerfolg war zwei Jahre her. Ich feierte ihn gegen Ende des New York-Urlaubs, als meine Begleiterin, noch bevor wir zurückflogen, aufgrund meiner tagelangen Weigerung, den unhygienischen Verband unter der Piratenklappe zu wechseln – mein Argument lautete in etwa: »Wenn ich hier schon nirgends rauchen darf, dann solln sie wenigstens mal sehn, wie sie mit dem Eiter klarkommen« – sich von mir lossagte. Während des Rückflugs saßen wir schweigend nebeneinander. Frau und Auge in New York verloren, ein schöner großer Mißerfolg.

 
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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster