Inhalt der Printausgabe

September 2004


Deutschland, deine Mehrzweckhallen:
Schlager, Sänger und Skandale

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Osnabrück, Stadthalle
Neben ihrer verstörenden Mischung aus den Holzverkleidungen der 60er, der Sterilität der 70er und der Lichttechnik der 80er Jahre verwöhnt die Stadthalle Osnabrück mit einem speziellen Desinfektionsaroma, das wie ein grotesk vergrößerter WC-Stein in der Halle hängt und dem abermals anwesenden Dschungelgriechen so wenig Spaß macht, daß er eine Zugabe weniger gibt; zumal das Publikum nicht so recht mitgehen will. Die rund 30 Schlagerfreaks sind für echte Samba-Stimmung freilich auch ein bißchen wenig. Dabei hatte ich gerade heute auf einer Osna-brücker Litfaßsäule das erste Tourplakat gesehen: verloren, unauffällig, in Schwarzweiß und DIN A3. Und heute darf auch Frank Zander endlich ran. Sein Band wird gestartet: "Zanderstruck!" überfordert die nicht eben AC/DC-kundigen Fans zwar, aber der Opener und Zander-Smash-Hit "Hier kommt Kurt" ("Seit der Geburt heiß ich Kurt! Ohne Netz und ohne Gurt") rockt sie dann doch heftig fort. Später gibt sich Zander backstage entspannt: "Ey, 30 Leute, kein Wunder bei den Preisen. 30 Euro? Sollen sie doch bloß fünf oder zehn nehmen, dann ist der Laden halt randvoll mit Idioten, aber dafür ist er voll"; analysiert's und schickt seine Frau, eine Flasche Ketchup zu besorgen, da ihm die Gulaschsuppe, von der ich bereits seit einer Woche lebe, "zu lasch" ist. Ein frischer Schuß Ketchup macht die Suppe dann tatsächlich so frisch und würzig wie die Lieder von QW, der gerade nicht da ist und wahrscheinlich irgendwo seine Texte selber schreibt.
 


Solingen, Stadthalle
Nächster Tag, ein neuer Höhepunkt: Jürgen Drews! Und diesmal gleich zwei Plakate, sogar mitten in der Halle! Von Beginn an merkt man: Das Solinger Publikum ist Drews nicht ganz geheuer. Tatsächlich liegt der Alterdurchschnitt unter den immerhin 100 Eisernen bei gleichfalls etwa 100. Und so kommt Jürgen Drews zunächst ganz ruhig auf die Bühne, erklärt offen, er performe "sonst eher auf Mallorca oder Après-Ski Partys vor 2000 ausgeflippten, halbnackten Knallköpfen", und ob er hier überhaupt anfangen dürfe? Davon können ihn 98 Senioren und die beiden entschlossen betrunkenen Backgroundsängerinnnen von QW gerade noch überzeugen. Daß Drews am liebsten gleich wieder zurück zu Après-Ski und Strandparty möchte, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er läßt das Halbplayback eines Songs wie "Sechs mal Sex" starten und singt los: "Ich brauch' sechs mal Sex am Tag, ich brauch' sechs mal Sex!" - das singt er live und gut, dann bricht er nach ein paar Zeilen ab und stellt fest: "Das kann ich hier doch nicht machen!" Statt dessen versucht er den nächsten Song, singt anderthalb Refrains und Strophen, beschließt dann kurzfristig, die lyrischen Zwei- bis Eindeutigkeiten abermals nicht auf Rentner und Backgroundsängerinnen loslassen zu können, und hält ratlos inne. Ein Teufelskreis, aus dem Drews nicht mehr herausfindet. Schließlich berichtet er nur noch, welches seiner Lieder auf welcher Skihütte angesagt ist, und streicht es ad hoc aus seinem Programm. "Ich sollte hier wohl lieber Volkslieder singen. Ich kann aber keins!" Resignation total.
 
Wenn Backgrounddiven zu sehr trinken

Später verschenkt er T-Shirts, erzählt: "Auf Mallorca bekommen die Mädels die nur, wenn sie es sofort gegen ihr T-Shirt tau…" und bricht ab. Die Rentner aus Solingen wünscht er sich nicht zum Trikottausch. So bleiben nur QWs sternhagelvolle Backgroundsängerinnen, die Drews' T-Shirts über ihre eigenen ziehen und dann kreischend von der Bühne tanzen. Zum guten Schluß wirft der König von Mallorca Nacktkalender seiner Frau in die Menge und wird hernach hinter der Bühne sogar noch sentimental: "Seit 30 Jahren mach' ich diese Schlagerscheiße. Ein guter Rat: Laß die Finger davon, ist doch alles einfach Scheiße!"
Ganz anders denkt da Olaf Berger, der auf der Bühne gerade lostrompetet: "Freunde, als mich mein sehr guter alter Kollege, Förderer und bester Freund, der Dieter Thomas Heck, ihr kennt ihn alle, neulich mal wieder anrief, da plauderten wir, und er sagte zu mir: Du, Olaf, weißt du, was du unbedingt mal machen mußt, es gibt doch diesen Klassiker von Toni Holiday..."
 
"Tralala tralala - ups! Sch-Schulligung"...



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg