Inhalt der Printausgabe

September 2004


Deutschland, deine Mehrzweckhallen:
Schlager, Sänger und Skandale

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Cuxhaven, Kugelbakehalle
Am ersten Abend bietet die Cuxhavener Kugelbakehalle mehr als 1000 Besuchern Platz, und fast 20 warten auch geduldig auf die Show, was wir uns mit der überraschenden Abwesenheit jeder adäquaten Werbemaßnahme erklären; ein Manko, das die Tour fortan begleiten wird. Das Kugelbakehallen-Management hat aber rechtzeitig reagiert, behagliche riesige Tische in den Raum gefahren und an jedes dieser herrlich braunen Furniermon-ster an-statt der durchaus möglichen 30 Stühle nur sechs gerückt. Trotz dieser ausgefuchsten Maßnahme muß man schon halbblind sein, um die Veranstaltung für gut besucht zu halten, aber die Handvoll Publikum scheint diese Voraussetzung seit ihrer Verrentung anno 1980 ja zu erfüllen.
Der Schlagerrocker QW (bürgerlich "Cauvet", was, linkisch ausgeprochen, zum Künstlernamen QW wird) tritt als erster vors gebeugte Publikum; der Job, den er von nun an allabendlich übernimmt. Wie ich schnell erfahre, war QW bis vor einem Jahr noch nicht Schlagerrocker, sondern höchstens Hobby-Schlagersänger und von Beruf angeblich "Millionär", will sich aber nun im Schlagerrock einen Namen machen und ist zufällig mit genau der Frau liiert, deren Firma als Tourveranstalter auftritt.
Und seine Texte schreibt QW alle selbst: "Auch wenn ich rocke, müßt ihr auf meine Texte achten!" ist eine seiner Lieblingsansagen, gerne im Anschluß an: "Ich rocke ein bißchen, aber keine Angst, ich rocke nicht zuviel!" Seine Lieder heißen rockig "Heyhey, ich lieb dich" oder "Vergiß mich nicht" und bieten frische Sichtweisen auf ein unverbrauchtes Thema.
QWs Backgroundband besteht aus gebuchten Top 40-Musikern, die drei Tage brauchen, bis die Witze ausnahmslos auf ihren Chef gehen. Und schon in Cuxhaven, vor 20 Gästen, wird klar, daß QW bereit ist, seinen Traum vom Schlagerrock zu leben: die ganz großen Gesten, der nachdenkliche Blick bei Balladen, das Fallen auf die Knie während schmerzhafter Passagen und das wild rockende "Wo sind eure Hände?", all das kann man auch im kleinen Kreise prima bringen. QWs Abschiedsworte lauten jeden Abend gleich: "Jetzt kann sich jeder grad noch 'n Autogramm holen!" und hören sich vielleicht eine Nuance zuviel nach "Jeder soll sich jetzt noch ein Autogramm holen!" an. Egal, der Mann ist jedenfalls auf dem Weg nach ganz weit oben! Und auch schon ziemlich lange unterwegs - ein Faktum, welches QW in die feine Ansage spinnt: "Ich war auf der Hauptschule, und sie haben mir gesagt: Aus dir wird nix!" Das Publikum staunt. So kann man sich irren.
Dann kommt als Stargast Bernhard Brink, der einen guten Teil seines Auftritts damit zubringt, von Dieter Bohlen zu erzählen; schließlich hat er, Brink, ein Buch geschrieben, in dem er, Bohlen, vorkommt, den er, Brink, für doof hält. Kein Wunder, daß Tontechniker Hansi da lieber zum Merchandising-Stand flüchtet; und vor Beginn der Zugabe erst mal eine halbe Ewigkeit lang gesucht werden muß. Den größten Applaus des Abends aber bekommt der Sänger Olaf Berger, der auch da ist und jede Ansage mit dem orgiastischen Ausruf "Freunde!" beginnt. Und zwar überraschenderweise nicht für seine Singerei, sondern für die Ansage: "Freunde, neulich beim Telefonat mit Dieter Thomas Heck, da sagte der: Olaf, nimm doch den Klassiker von Toni Holiday mal in einer neuen Version auf." Das anschließende Holiday-Cover zeichnet sich in vorderster Front durch eine topaktuelle Bassdrumnote aus und geht strengstens nach vorne: "Tanze Samba mit mir, Samba, Samba die ganze Nacht!" Mit dem Ausruf "Freunde! Das waren jetzt acht Minuten Vollgas, und ich fand's toll, wie ihr mitgemacht hat!" verabschiedet der Vollprofi die zwanzig Zuhörer mit Vollgas.
 
Lightshow satt:
im Großgeschäft oft schon die halbe Miete


Münster/Westfalen, Münsterlandhalle Zum Glück ist bereits am nächsten Tag Aufwind spürbar: In der Münsterlandhalle finden sich an die zwei Dutzend Fans ein. Ein schöner Erfolg: In diese Riesenhalle passen ja bei Bestuhlung auch bloß 3000 Zuschauer. Bedenkt man den Ticketpreis, der im Schnitt bei 25 Euro liegt, kommen allein in Münster fast 500 Euro Eintritt in die Kasse; in jene Kasse, aus der am Ende der Tour Portokassenaffären wie Technik, Künstler, Sicherheit, Catering, Hallenmiete, Transport und Werbung (nein, Werbung wohl nicht) zu bezahlen sind.
Trotzdem will der Funke des rockenden Newcomers QW nicht richtig überspringen, erstarrt und schweigend wartet das Publikum auf Stargast Roland Kaiser. Der liefert eine steinsolide Schlagershow ohne große Überraschungen und Hektik. Wie im Showgeschäft üblich, sind Kaisers Bühnenansagen einstudiert, auf seinem Zettel kann ich vor dem Auftritt Stichwörter lesen wie "Wer auf des Lebens Gipfel steht" und "Dank für Emotionen". Emotionaler Höhepunkt des Abends ist dann aber eine Ansage von Olaf Berger, der ein schwungsvolles Samba-Lied mit den Worten einleitet: "Freunde, als ich neulich mit meinem Freund Dieter Thomas Heck telefonierte, da schlug er mir vor: Du, Olaf, hast du schon mal daran gedacht, einen Toni-Holiday-Klassiker neu aufzunehmen..."
 
Auch Olaf Berger (nicht im Bild) riß das Publikum von den Sitzen
 
 
Heißer Samba unter Schneckenhausprojektionen - und das Publikum ging begeistert woanders hin!



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick