Inhalt der Printausgabe

September 2004


Deutschland, deine Mehrzweckhallen:
Schlager, Sänger und Skandale

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Embedded im Schlagerzirkus:
TITANIC-Reporter Jarni Starck berichtet aus der Manege


 


Die Idee
Im Frühjahr ging ich also auf Schlagertournee. Die Jahre des Rackerns auf Stadtfesten oder in kleinen Punkrockschuppen und das einmalige Verleihen meines Synthesizers für eine Aufzeichnung der "Viva Club Rotation" (welches mich noch heute mit Stolz erfüllt, weil die bekannte Müllband "Groove Coverage" zu ihrer "Musik" so tat, als spielte sie auf meinem Synthesizer), all das Buckeln und Schleimen im und ums Musikbusiness herum, es hatte sich also endlich ausgezahlt: Ich durfte auf die ganz großen Bühnen! Dorthin, wo man von den Massen gefeiert wird für Songs voller Leidenschaft und Gefühl, dorthin, wo man mit Rosen, Dosen, Slips und Teddybären beworfen wird, dorthin - wo jemand vor und nach dem Auftritt teuflisch schwere Lautsprecherboxen herumschubsen muß. Denn da es mit meiner Musikerkarriere nicht weit her war, hatte ich beschlossen, wenigstens als Roadie einmal durch Deutschlands Mehrzweckhallen zu touren.

Die Tour
Klar, meine Aufgabe ist begrenzt auf das Auf- und Abbauen der mächtigen Bühnenkonstruktion, meterhoher Traversen für Lichtshow und Boxen, und nicht wenig beunruhigt mich zunächst der Gedanke, auf so gefürchtete Hampelmänner wie Costa Cordalis, Frank Zander, Jürgen Drews, Drafi Deutscher und Roberto Blanco zu treffen; andererseits ergibt sich so die Chance, Showlegenden wie Costa Cordalis, Frank Zander, Jürgen Drews, Drafi Deutscher und Roberto Blanco persönlich kennenzulernen. Das wischt meine Bedenken letztendlich locker vom Tisch.
So bin ich also plötzlich Teil der "Rock und Schlager für Leukin"-Tour, die durch Nord- und Westdeutschland rollt. "Leukin" ist eine Organisation, die leukämiekranken Kindern aus der Patsche hilft und größere Teile der Tournee-Einnahmen erhalten soll. Das Tourkonzept ist so simpel wie genial: Jeden Tag sollen mehr oder minder wechselnde Topgäste aus dem nationalen Schlagerzirkus für Publikumszuspruch sorgen, während ein dreitagebärtiger ostfriesischer Spitzenkünstler namens "QW" als Dauersupport den Abend eröffnet; und also Abend für Abend die Bühne mit schlagerrockigen Eigenkompositionen warmspielen darf. Sympathisch abgerundet wird das Programm durch den Sänger Olaf Berger, der im Gegensatz zu den anderen Stars gleich für fast alle Gigs gebucht ist. Vielleicht hat er mehr Zeit als seine Kollegen.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg