Inhalt der Printausgabe

September 2004


Deutschland, deine Mehrzweckhallen:
Schlager, Sänger und Skandale

(Seite 5 von 5)

Paderborn, Paderhalle
In Paderborn gibt es eine echte Legende zu bewundern: Drafi Deutscher. Der zugkräftige Name sorgt für fast 50 Zuschauer, und so bietet QW im Vorprogramm begeistert sein ganzes Rockerarsenal auf: "Habe ich schon erwähnt, daß ich alle meine Texte selber schreibe?", ergattert diesmal außergewöhnlich viel Applaus und legt nach: "Die Musik übrigens auch!" Die 50 Gäste überschlagen sich vor Euphorie, und QWs Keyboarder ist nicht stolz genug, um diese Lüge korrigieren zu wollen.
Drafi Deutscher bestellt sich on stage erst mal ein Bier, was nach den Vorkommnissen vom Vortag zum Problem wird. Nach den Exzessen der Background-Damen ist vorsorglich nur alkoholfreies Pils griffbereit. Klugerweise hat Vollprofi Deutscher vorher gut aufgetankt und bemerkt keinen Unterschied zwischen mit und ohne Alkohol. Auch der Tontechniker verfügt offenbar über eigene Reserven: Als Deutscher ein romantisches Schmuselied zum Träumen ankündigt, startet er das Band, und fröhlich intoniert eine Orgel die ersten Takte von "Heute mal ich dein Bild, Cindy Lou!" Hinter der Bühne ist die Erheiterung groß.

Celle, Congress Union-Halle
Gleich zwei Höhepunkte stehen in Celle auf dem Programm. Erstens natürlich der Witz, der bei jedem Auftritt von Olaf Berger zu seinem Standard-Repertoire gehört: "Fritzchen sagt zu Oma: ›Ich muß pinkeln!‹ Sagt die Oma: ›Pinkeln sagt man nicht, sag doch flüstern.‹ Sagt Fritzchen später zu Papa: ›Ich muß flüstern!‹ Sagt Papa: ›Na dann flüster' mir doch einfach ganz leise ins Ohr!‹" Und zweitens Roberto Blanco, der den Saal heute abend zum Kochen bringen will. Das runde Dutzend Kulturfreunde in der Congress Union-Halle hätte vielleicht auch mitgemacht, wird aber erst gar nicht gefragt: Absage. Ungläubige Gesichter überall: Wir haben Roberto Blanco und sagen ab? Es sind doch zwölf Besucher vor Ort! Auch Blanco mag es nicht glauben: "Wie, isse abgesagt?" fragt er aus seinem schwarzen Mercedes in die Runde. "Ja, isse abgesagt", denke ich traurig. Betrübt legt er den Rückwärtsgang ein und fährt fort.

Das Ende
Mit der "Rock und Schlager für Leukin-Tour" dagegen fahren wir nicht fort, denn QW ändert seine Taktik für die geplanten weiteren 22 Konzerte: Anstatt erst abends nach dem Aufbau werden sie von vornherein gestrichen, jetzt, alle, auf einen Schlag. Möglicherweise hängt es damit zusammen, daß ein paar von seinen Schecks geplatzt sind und allerhand Leute plötzlich energisch Bargeld von ihm fordern, z.B. sämtliche Techniker, Künstler, Sicherheitsleute, Caterer, Hallenvermieter und Transporteure.
Zum Glück habe wenigstens ich mein Geld in der Tasche; und aber auch genug gesehen, ein bißchen was gehört, viel (schlecht) fotografiert und viel dazugelernt. Diesen Text hier: den habe ich zum Beispiel ganz alleine geschrieben.

Epilog:
The Show Goes On

"Die Staatsanwaltschaft Aurich ermittelt gegen den Rocksänger ›QW‹ aus Burlage. Der 39jährige, der mit bürgerlichem Namen Hans Cauvet heißt, wird der Unterschlagung, der Urkundenfälschung, verschiedener Vermögensdelikte, der Nötigung und der Bedrohung beschuldigt. Das bestätigte gestern auf Anfrage Leitender Oberstaatsanwalt Werner Kramer. Hans Cauvet selbst sagt dazu: ›Ich weiß von den Vorwürfen. Da ist nichts dran. Ich weiß nicht einmal, wer die Anzeigen gegen mich erstattet hat, weil ich die Akten noch nicht kenne. Da will mich offenbar jemand fertigmachen.‹ Er habe niemanden betrogen, beteuert er seine Unschuld.
Während diese Verfahren bei der Staatsanwaltschaft bereits anhängig sind, rechnet der Sänger aus Burlage jetzt durchaus noch mit weiterem Ungemach, nachdem er mit einer bundesweiten Benefiz-Tournee (›Rock und Schlager für Leukin‹) gescheitert ist.
Statt geplanter 33 Tournee-Konzerte fanden nur elf statt. Verträge mit Künstlern hatte die veranstaltende Firma M.A.P. aus Börger, die Cauvets Lebensgefährtin gehört und in deren Auftrag er Geschäfte abwickelt, aber für die gesamte Tour abgeschlossen.
Schlagersänger wie Roland Kaiser, Ireen Sheer, Frank Zander, Drafi Deutscher und andere, aber auch Agenturen und Technik-Firmen warten nun auf zum Teil hohe Geldsummen, die ihnen vertraglich zugesichert worden waren.
Auch der in Ostrhauderfehn ansässige Verein zur Hilfe leukämiekranker Kinder (›Leukin‹) wartet vergeblich auf von ›QW‹ zugesagte Spenden. Nach Angaben des Vorstandes hatte der 39jährige Sänger versprochen, dem Verein aus jedem der 33 Tournee-Konzerte 1000 Euro als Spende zu überweisen."
(Generalanzeiger Ostfriesland, 19.6.2004).


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt