Inhalt der Printausgabe

Juli 2004


EM 2004
Orte des Schreckens die wir niemals vergessen dürfen
(Seite 3 von 4)

10.10 Uhr
Der 10-Punkte-Plan

Aber das ist noch nicht alles: "Aber das ist noch nicht alles: Wir haben eine Liste mit Forderungen erstellt! Außerdem behält sich die Redaktion TITANIC vor, rechtliche Schritte gegen den DFB einzuleiten." Natürlich ist dieser Satz eine Floskel, aber diesmal soll es nicht wieder der DFB sein, der zuerst mit Anwälten droht.
"Die zehn TITANIC-Forderungen für besseren Fußball in Deutschland! Erstens: Rudi Völler ist ein netter Mensch und muß sofort gegen Ottmar Hitzfeld ausgetauscht werden! Zweitens: Oliver Kahn gehört in psychologische Behandlung, Timo Hildebrand ins Tor! Drittens: Jens Jeremies, Miroslav Klose und Christian Wörns sind alt und langsam; sie müssen sofort nach Hause zurückgeschickt werden!"
Entschiedenes Kopfnicken vorne links, aber wo ist der DFB? Wo ist Völler? Werden die denn befolgen, was wir ihnen hier zum Wohle des Landes diktieren? Egal, ich mache einfach weiter, irgend jemand wird es ihnen schon ausrichten.
"Viertens: Schweinsteiger soll zum Friseur gehen, sich die peinlichen Strähnen entfernen und einen gepflegten Kurzhaarschnitt verpassen lassen! Fünftens: Absolutes Interview-Verbot sowie Sprechunterricht und Schulung in kritischer Dialektik für Schweinsteiger und Podolski!" Das sind leicht zu erfüllende Forderungen. Eigentlich sollen sie ja auch nur das Feld bereiten für den nun folgenden Hammer:
"Sechstens: Gehaltskürzung für DFB-Präsident Mayer-Vorfelder!"
Anerkennendes, ja kämpferisches Gemurmel im Publikum. Skandalnudel Mayer---Vorfelder ist offenbar nicht nur bei uns unbeliebt.
"Siebtens: Man muß Christian Ziege einen Trick beibringen! Achtens: Spielernamen wie ›Lahm‹ oder ›Hinkel‹ werden in vernünftige Namen geändert!"
Ein paar billige Lacher unter den Printmedien nutze ich, um die Hauptforderung anzuhängen: "Neuntens: Oliver Kahn hat gesagt: ›Nächste Woche gegen Holland wird sich eine völlig andere deutsche Mannschaft präsentieren.‹ Na hoffentlich! Wir fordern, die ersten 22 Spieler durch irgendwelche anderen zu ersetzen; genau wie bei den erfolgreichen Ungarn!" Ein geschickter Schachzug, sich einfach an Kahns Forderung zu hängen! Leider wird er sich vor der Geschichte als völlig wirkungslos erweisen. Und schon als Fredi Bobic zwei Tage später in der Talk-Show von Maybritt Illner mit dieser Forderung konfrontiert wird, spricht er uns einfach die Kompetenz ab: "TITANIC ist nun mal kein Fußball-Magazin!"
"Zehntens und vor allem: Wolfgang Niersbach soll sich nicht wieder so künstlich aufregen!" Wolfgang Niersbach, Präsident des Organisationskomitees für die WM 2006, das hatte ich neulich in einem Fernseh-interview gesehen, bekommt noch immer einen roten Kopf und fängt an zu wüten, wenn die Rede auf die TITANIC-Bestechungsaktion kommt.

 
"Ziege soll einen Trick lernen! Iiiiiiiiiiiiiiiigh!"

10.15 Uhr
Das Warten

Wer Niersbach kennt, lacht, und es kennen ihn viele. Danach ist die Luft raus; alle erwarten das Auftauchen Rudi Völlers. Einige Rundfunkreporter lassen sich die TITANIC-Forderungen noch mal ins Mikrophon sprechen, wenig später gehen sie via Deutschlandradio landesweit in den Äther. Eine Journalistin fragt: "Was wollen Sie eigentlich mit der Aktion bezwecken?" Ich fasele etwas davon, daß es auch und gerade in der Wirtschaftskrise, die ja bekanntlich von Rotgrün zu verantworten sei und die zu einem Gutteil aus einem psychologischen Moment bestehe, ganz wichtig für Deutschland sei, daß wieder attraktiver und erfolgreicher Fußball gespielt werde, kurz gesagt: "Die deutschen Spieler brauchen einen Trick. Alle Spieler anderer Mannschaften kennen einen Trick, deswegen können sie mit dem Ball am Gegner vorbeigehen. Die Deutschen können das nicht. Sie müssen auch einen Trick lernen!" - "Aha!"
Ein paar Interviews noch, und während alle auf Rudi Völler warten, fährt ein schwarzer Porsche hektisch los, fängt den Trainer ab und bringt ihn durch den Hintereingang zur Pressekonferenz ins DFB-Gebäude. Während man sämtlichen Trainingsanzügen den Zutritt verwehrt, gelangen Hintner und die Eilert unbelästigt hinein.

 
"Können Sie das noch mal ohne Iiiiiiiiiiiiiiiigh?"

10.30 Uhr
Die Begegnung

Als ein Informant uns berichtet, daß die Nationalmannschaft um 11 Uhr am Frankfurter Waldstadion ihr Abschlußtraining absolviert, beschließen wir spontan, da mal vorbeizuschauen. Schnell bauen wir ab, springen in die Autos und fahren - am ungewöhnlich prächtigen Zweitligastadion vorbei, das die Frankfurter gerade bauen - in Richtung Trainingsgelände. Mit unseren Presseausweisen betreten wir es ungehindert und schauen uns um, als Minuten später ein kompakter Mercedes vorfährt. Es ist unverkennbar Rudi Völler, der aussteigt. Schnell lasse ich mir eine der Propaganda-Mappen reichen und springe auf ihn zu. Drahtig und durchtrainiert wirkt er, etwas kleiner als gedacht und alles in allem recht sympathisch. Wahrscheinlich könnte er mich locker umspielen, aber er ergreift meine ausgestreckte Hand, blickt etwas irritiert auf meinen "TITANIC Sportredaktion"-Button und nimmt die Mappe entgegen. Leider sprintet ein ca. 14jähriger Schülerzeitungs-Pykniker dazwischen, der offensichtlich über wesentlich mehr Energie und Durchsetzungsvermögen verfügt als ich, und verwickelt den davonstrebenden Trainer in ein intensives Fachgespräch.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

 Oha, »Siegessäule«!

Als queeres und »Berlins meistgelesenes Stadtmagazin« interviewtest Du anlässlich der Ausstellung »Sex. Jüdische Positionen« im Jüdischen Museum Berlin die Museumsleiterin und die Kuratorin und behelligtest die beiden unter anderem mit dieser Frage: »Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen.«

Nun ist das Jüdische Museum Berlin weder eine Außenstelle des Staates Israel, noch muss man als Journalist/in irgendwelchen »Aktivist*innen« ihre antisemitischen Klischees, dass letztlich doch alle Jüdinnen und Juden dieser Welt unter einer Decke stecken, im Interview nachbeten. So können wir uns aber schon mal Deine nächsten Interviewfragen ausmalen: »Frau Pastorin Müller, Sie bieten einen Gottesdienst zum Christopher Street Day an. Betreiben Sie damit Pinkwashing für den Vatikanstaat?« oder »Hallo Jungs, ihr engagiert euch in einem schwulen Verein für American Football. Betreibt ihr damit nicht Pinkwashing für Donald Trump?«

Wird diese Artikel allerdings nicht mehr lesen: Titanic

 Mmmh, Futterparadies Frankfurt a. M.!

Du spielst in einem Feinschmecker-Ranking, das die Dichte der Michelin-Sterne-Restaurants großer Städte verglichen hat, international ganz oben mit: »Laut einer Studie des renommierten Gourmet-Magazins Chef’s Pencil teilen sich in der hessischen Metropole 77 307 Einwohner ein Sterne-Restaurant.«

Aber, mal ehrlich, Frankfurt: Sind das dann überhaupt noch echte Gourmet-Tempel für uns anspruchsvolle Genießer/innen? Wird dort wirklich noch köstlichste Haute Cuisine der allerersten Kajüte serviert?

Uns klingt das nämlich viel eher nach monströsen Werkskantinen mit übelster Massenabfertigung!

Rümpft blasiert die Nase: die Kombüsenbesatzung der Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster