Inhalt der Printausgabe
Oktober 2003
Vom Fachmann für Kenner (Seite 8 von 16) |
Frisch verliebt Es war Samstag. Strahlender Sonnenschein, 30 Grad im Schatten. Ich hatte ein Date mit meiner Traumfrau. Sie war jung, gebildet und wunderschön. Eigentlich trennte mich von der jungen Dame nur die Bahnstrecke Bonn-Köln Süd. 20 Minuten Fahrzeit, maximal. Vorsichtshalber ging ich trotzdem eine Stunde vorher zum Bahnhof. Ich stieg frohgemut in den Zug und fuhr los. Genau bis Roisdorf. Eine Station, fünf Minuten Fahrzeit. Dann lief bei meinem Lieblingsverkehrsunternehmen plötzlich gar nichts mehr. Ein Selbstmörder hatte sich vor den Zug geworfen und so seinem Leben und meiner Reise ein rasches Ende gesetzt. Das Zauberwort der Deutschen Bahn in diesen Fällen lautet "Schienenersatzverkehr". Mir wurde schlecht. Mit hundert durch die Hitze genervten Mitreisenden zwängte ich mich nach einer halben Stunde Wartezeit in einen Linienbus. Man fuhr mich nach Brühl. Von dort ging es mit der Straßenbahn weiter, 40 Minuten Fahrzeit, Halt an jeder Mülltonne. Bäche von Schweiß bahnten sich ihren Weg von meiner Stirn, meinen Achseln und meinem Rücken in meine Kleidungsstücke. Ich konnte stehend meine Füße riechen. Eine Rentnerin kollabierte, wir ließen sie liegen. Jeder war sich längst selbst der Nächste. Alle gegen alle. Ich kam über eine Stunde zu spät zu meinem Date, stank wie Sau und hatte eine Laune wie Dresden '45. Wo war eigentlich die Zeit geblieben, in der Selbstmörder ihren Kopf in den Gasofen steckten oder sich stillschweigend auf dem Dachboden aufhängten? Sebastian Badenberg
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