Inhalt der Printausgabe

November 2003


Humorkritik
(Seite 6 von 7)

Hiaasens Eule

Das bekannteste Werk des amerikanischen Schriftstellers Carl Hiaasen ist auch das am stärksten entstellte. Sein Roman "Striptease" lieferte die Vorlage für den gleichnamigen pappschlechten Film, an dem lediglich bemerkenswert war, daß er den darstellerischen Qualitäten Demi Moores vollkommen entsprach. In seinem Buch karikierte Hiaasen einen sexsüchtigen korrupten Politiker, der einer Stripperin verfallen ist; die satirischen Elemente wurden in eine Krimihandlung, die im Süden Floridas spielt, verpackt. Nach dieser Formel leimte Hiaasen noch acht weitere Romane zusammen, über die sich einiges Gutes - und leider noch mehr Schlechtes sagen läßt.
Hiaasen ist hauptberuflich Reporter beim Miami Herald. In journalistischer Manier stopft er seine Bücher mit einer Horde korrupter Politiker, Polizisten und Unternehmer; sein liebstes Haßobjekt ist Disneyworld. Hiaasen will jedoch nicht nur Mißstände monieren und moralisieren (dann könnten seine Krimis genausogut in Schweden spielen), sondern auch unbedingt als Satiriker anerkannt werden. Dabei gelingen ihm mitunter hübsche Volten. In "Native Tongue" versuchen militante Umweltschützer, einen Vogel zu befreien, der sich am Ende als plumpe Fälschung herausstellt: die Manager eines Vergnügungsparks ließen einem Papagei die Zunge blau färben und erfanden so eine höchst bedrohte Tierart. "Die Glücksfee" (wie die meisten Hiaasen-Krimis als Goldmann-Taschenbuch erschienen) spielt u.a. in einem Dorf, das zum Wallfahrtsort wird, weil auf dem Asphalt der Hauptstraße ein Ölfleck dem Bilde Jesu Christi gleicht.
Anstatt aber seine Geschichte zu erzählen, türmt Hiaasen Burleske auf Burleske, bis man das Gefühl hat, in einer Freakshow zu sein. Ein noch größeres Problem ist das fragwürdige Handlungspersonal. Daß Hiaasen seine Krimis mit omnipotenten Vietnamkriegsveteranen und vollbusigen Patentmädels bevölkert, mag noch angehen; darüber hinaus leidet Hiaasen aber schwer am gefürchteten Früher-Journalist-jetzt-Schriftsteller-Syndrom. Durch beinahe jeden Roman stapft ein Alter ego des Autors: Ex-Journalist, unheimlich desillusioniert, unheimlich edel und von noch unheimlicherer sexueller Anziehungskraft. In der Regel ist dies die mit Abstand lächerlichste Figur - doch leider die einzige, die ernst gemeint ist. Mehr als literarisches Fast food kann so nicht entstehen.
Zumindest für einen Teil seines Publikums gibt es aber nun ein Happy-End. Nach vielen Krimis hat Hiaasen jetzt ein Kinderbuch geschrieben. "Eulen" (auf Deutsch bei Beltz) ist ein passabler Öko-Krimi für angehende Teenager. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß dem Buch möglicherweise einige Marketing-Kalkulationen vorausgegangen sind ("Laßt uns doch mal was über Eulen machen, die kommen seit Harry Potter bei Kindern tierisch gut an!"), ist das Ergebnis reifer und lesbarer als Hiaasens Arbeiten für Erwachsene.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Reifeprozess

Musste feststellen, dass ich zum einen langsam vergesslich werde und mir zum anderen Gedanken über die Endlichkeit allen Lebens mache. Vor meiner Abreise in den Urlaub vergaß ich zum Beispiel, dass noch Bananen in meiner Obstschale liegen, und dann dachte ich zwei Wochen darüber nach, wie lange es wohl dauert, bis die Nachbarn wegen des Geruchs und der Fliegen aus meiner Wohnung die Kripo alarmieren.

Loreen Bauer

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster