Inhalt der Printausgabe
Januar 2003
Humorkritik
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Dummer weißer Mann |
In der letzten Ausgabe hatte ich ihn noch so gelobt: Michael Moore, Dokumentarfilmer und Satiriker aus Flint, Michigan, für sein polemisches Stück cinema vérité "Bowling for Columbine". Dann habe ich leider "Stupid White Men - Eine Abrechnung mit dem Amerika unter George W. Bush" (Piper) gelesen, das den Sprung über den Ozean in die deutschen Bestsellerlisten geschafft hat. Das alleine hätte mich schon stutzen lassen müssen, und die Lektüre bestätigt alle gängigen Vorurteile gegenüber satirischen Büchern mit hohen Verkaufszahlen: die "Sensation" (San Francisco Chronicle), das "Meisterwerk aus dem Geiste Jonathan Swifts" (BBC Newsnight) ist alles andere als Satire. Nämlich allenfalls Polemik. Was auf dem Buchrücken als "Leidenschaft" bejubelt wird, entpuppt sich als Abwesenheit jeglicher stilistischer Finesse, und die sagenhaft schlechte Übersetzung vernichtet auch den letzten Witz, den das Original womöglich hat. Dabei müßte Moore es eigentlich besser können, schließlich war er lange genug Chefredakteur der Zeitschrift Mother Jones in San Francisco und gründete schon 1976 eine eigene alternative Zeitung (The Flint/Michigan Voice), deren vornehmste Aufgabe es war, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen für Nachrichten, die in den "großen" Medien nicht vorkamen bzw. vorkommen durften. Dieses Prinzip machte auch seine TV-Serien "TV Nation" (Emmy Award 1995) und "The Awful Truth" äußerst erfolgreich, zumal sie durchaus unterhaltsam waren und das Stilprinzip des right in the face auf dem Bildschirm gut funktioniert: Für "The Awful Truth" etwa besucht Moore einen Mann, der sterben muß, weil seine Krankenversicherung ihm die Bezahlung einer neuen Bauchspeicheldrüse verweigert - und veranstaltet umgehend vor dem Sitz des Versicherungsunternehmens eine "Probebeerdigung" inklusive Sarg und Priester. Auf Papier funktioniert dergleichen schon nicht mehr. Zwar trägt der sammelwütige Moore unendlich viele Fakten und Anekdoten zusammen, die hübsch zu lesen sind (George W. Bush, so berichtet er etwa, habe einmal angegeben, sein Lieblingskinderbuch sei "Die Raupe Nimmersatt" gewesen - das allerdings ist erst ein Jahr nach Bushs College-Abschluß erschienen). Das ist lobenswert, und seine Dossiers über die Regierungsmitglieder, die Recherchen über den Wahlbetrug, die Auflistung der "Leistungen" Bushs in den ersten Monaten seiner Amtszeit usw. sind eine Fundgrube für Amerika-Kritiker. Aber der Stil! Hinter jedem zweiten Satz ein Ausrufezeichen! Beständige Appelle an den Leser, sich endlich politisch zu betätigen, nur noch Schwarze einzustellen, Schülerzeitungen zu gründen, ein offener Brief an George W. Bush ("George, kannst Du lesen und schreiben wie ein normaler Erwachsener?") und alles in - wie schon erwähnt: schlecht übersetzter - Umgangssprache, dazu krude Abschweifungen, von großer Politik über den Unsinn des Recyclings und die Schrecken des Rinderwahnsinns zu Mißständen im Erziehungswesen und wieder zurück zur Bush-Administration: Das mag dem aufklärerischen Impetus geschuldet sein und in Anbetracht des Bildungsniveaus der angepeilten Leserschaft ja angehen. In den USA. Ich als Kostgänger mitteleuropäischer Satire fand es bereits nach der Hälfte des Buches nur noch ermüdend, wie da Attacke auf Attacke geritten wird, zumal die Tore, die da eingerannt werden sollen, weit offenstehen. Zumindest in Europa. |
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