Inhalt der Printausgabe
Februar 2003
Humorkritik
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Lottmann-Relaunch? |
Was mich trieb, anstachelte oder ritt, nach all den Jahren wieder einmal Joachim Lottmanns ersten Roman "Mai, Juni, Juli" aus dem Regal zu zerren - mag sein die Vorfreude auf laue, linde Frühlingslüftchen, mag sein die verschwommene Erinnerung an einst behagliche Lektüre -, das muß offen bleiben. Das Buch mit dem schräg gestreiften 80er-Jahre-Umschlag hingegen liegt schon wieder zugeschlagen auf meinem Schreibtisch, und zwar in der Ablage "S" wie "Skandal". Ein Skandal nämlich, daß dieses unerhört komische Debutwerk aus dem Jahre 1987 schon lange und bis auf den heutigen Tag vergriffen ist, daß es weder als Billigtaschenbuch lieferbar noch als verstaubte Remittende antiquarisch über das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher (www. zvab.com) zu ergattern ist; noch skandalöser, ja schon unverzeihlich jedoch, daß ich selbst im Erscheinungsjahr und auch danach niemals auf dieses charmante kleine und wundersam feine Büchlein hingewiesen habe. Vielleicht weil mich damals des Autors hemmungslose Anlehnung an seinen Mentor und Spiritus rector Knut Hamsun störte? Freilich ein lahmes Argument, verdanken wir solch thematischen und soundmäßigen An- und Entlehnungen neben Eckhard Henscheids dostojewskijhaften "Vollidioten" zahlreiche andere unverzichtbare Werke. 1890 läßt Hamsun den bemitleidenswerten Erzähler seines Romans "Hunger" mit den Worten beginnen: "Es war in jener Zeit, als ich in Kristiana umherging und hungerte…" - knapp hundert Jahre später eröffnet Lottmanns verzweifelter Erzähler sein Irrfahrtenbuch so: "Es war in der Zeit, als ich unbedingt ein Schriftsteller sein wollte. Eine schreckliche Zeit. Morgens kam ich nicht aus dem Bett, und abends hatte ich Depressionen." Hamsuns Hungerleider endet nach rund zweihundert Seiten am Hafen von Kristiana, heuert an und segelt von dannen, Lottmanns Möchtegern-Schriftsteller beschließt seinen Rapport im Hamburger Hafen und mit dem Satz: "Aber am nächsten Tag war ich auf hoher See." Damit sind die Gemeinsamkeiten schon weitestgehend erschöpft. Steigern bei Hamsun Eis und Kälte das Leid des Darbenden, sind es bei Lottmann Schweiß und Hitze, welche den Leidensdruck auf den angehenden, jedoch ständig aufs neue blockierten Schriftsteller ins Maßlose steigern. Rastlos flüchtet er vor dem selbstgesetzten Ziel durch Tag und Nacht, durch Mai, Juni und Juli, er verliert sich in Erinnerungen, fragwürdigen Abschweifungen und alten Manuskripten, versucht sich erfolglos an prächtig peinlichen Jugend- und Pornoromanen, eiert zwischen seiner norddeutschen Hafen- und einer rheinischen Homometropole hin und her und durch die Lande, stolpert in Kneipen, Beziehungen, Buchhändlerinnenseminaren und Altbauwohnungen umher, und dies auf derart bestrickend komische Weise, daß man dem furios schwadronierenden, plappernden, jammernden und jauchzenden Erzähler nur neuerliches Unglück wünscht, auf daß er einem weiter davon berichte. Und dieses glanzvolle, bis heute kaum gelesene Werk (die KiWi-Erstauflage war marginal), das den damals jungen Lottmann zu einem Ahnvater der heute vergleichsweise geist- und inspirationsfrei daherveröffentlichenden Popschreibercorona werden ließ, dies Buch soll Ihnen weiter vorenthalten werden? Wie lange wollen Sie sich das noch gefallen lassen? Bis zum überfälligen Wiedererscheinen von "Mai, Juni, Juli" behelfe man sich mit Lottmanns erst viel später erschienenem Zweitling "Deutsche Einheit" (TITANIC 12/99), der eine nicht minder hemmungslose, wenngleich auch strapaziösere Lottmann-Suada liefert; oder zur Not halt mit seinen notorisch halbwahren Ergüssen im elektronischen "Paparazzi-Forum" (www. hoefliche-paparazzi.de), die zwar ob ihrer kaskadenhaften Länge auch allerhand Schwächen zeigen, was jedoch die stets leicht beeindruckbaren Mitglieder dieses Tratschforums nicht im geringsten zu stören scheint. Die lassen sich so einiges gefallen. Und Sie? Wie lange noch? |
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