Inhalt der Printausgabe
1.4. Hamburg still und leer, fast wie auf dem Land. Wann immer es die Temperaturen zulassen, verbringe ich meine Zeit auf der Dachterrasse. Der etwa dreißig Meter von meinem Haus entfernte Spielplatz ist wie alle Spielplätze gesperrt, kein markerschütterndes Geschrei, kein ohrenbetäubend schrilles Geplärr, kein dummes Gebrüll. Nichts, Totenstille. Einzig die Müllabfuhr, die nach wie vor montags gegen acht kommt, geht mir noch auf die Nerven. Jedenfalls: Quarantäne Gold, Isolation de luxe, so lässt es sich aushalten.
2.4. In den Tagebüchern Thomas Manns stoße ich auf folgende Stelle: »Nur jetzt nicht sterben! Man hätte gar keine Presse.« Recht hat er. Nachrufe fallen zurzeit entweder bescheiden oder ganz aus.
3.4. »Zwischen zwei Telefonaten im Homeoffice noch ein Häppchen, abends im Heimkino noch ein Snack, und dazu ein Gläschen … oder zwei?« Süßes als Trost, Fettes gegen Langeweile, Salziges aus Essbock. Fettfalle Corona. Neuartiger Begriff Virenappetit. Topwitz: »Von 0 auf 150 in einer Sekunde? Steig doch mal auf die Waage!« Nach dem Fressen alles runterspülen mit Alkohol. Wichtig: Leiter bauen! Bier – Wein – Likör – Schnaps.
Geile Sprüche: Bei Schwermut Wermut // Promi kommt von Promille // Ich investier am liebsten in Alkohol – wo sonst gibt’s 40 Prozent?
Auch Matthias Reim hat blitzschnell reagiert und schnell mal eben einen Song »rausgehauen«: Der Schrei der Leber nach Liebe. (Reim im Gespräch mit der Schatulle: »Das Ding wird mein zweites Verdammt, ich lieb dich.«) Zusammenfassung: Exponentiell entwickelt sich nicht nur die KURVE (Curve), sondern auch der BMI. Ein Planet explodiert!
4.4. Erneut sehr unsympathisches Zitat von Friedrich Merz (Firma Blackrock): »Ich würde niemals ein Buch lesen, das von einer Frau geschrieben wurde.« Wahrscheinlich Coronafrust, ist ihm in der Quarantäne »rausgerutscht«. Die Schatulle mahnt: Vorsicht, Fritze, so wird man kein Kanzler!
5.4. Wofür man mich oft hält: evangelischer Pfarrer. Kaufmännischer Angestellter. Archivar. Virologe. Alles nicht sehr schmeichelhaft.
6.4. Gute Frage: Würden Sie sich für 2000 Euro mit Corona infizieren lassen? Ab dem Sechzigsten für jedes weitere Jahr hundert Euro zusätzlich (mit 65 also bereits 2 500 Euro).
7.4. Trotz Seuche lässt mich das vermeintliche Allerweltssyndrom Burning Feet nicht zur Ruhe bzw. Arbeit kommen. Weder Kälteflasche noch lauwarmes Fußbad mit basischen Zusätzen verschaffen Linderung, daher als letztes Mittel nasse Socken.
BRAINSTORMING: Bewusstsein mal Energie gleich Realität // Fettschürzenamputation // Work safely – die old.
8.4. Profiteure der Krise sind ganz allgemein Verbrecher, z.B. Bankräuber (Maximal). Zwei Bankräuber stürmen mit Atemmaske in die Bank, Geld, Schmuck und Schließfachinhalte zusammenraffen, und blitzschnell wieder raus. »Normale« Bankräuber würden sich die Maske jetzt runterreißen, aber was ist in heutigen Zeiten schon »normal«?!
9.4. Krass-geiler Begriff: SUPERSPREADER. Früher hätte man Virenschleuder gesagt.
10.4. Aus den Tagebüchern Richard Burtons über die ach so tollen Mediziner: »Ich bin diese Scheißärzte leid. Man müsste mich schon auf wirklich unerträgliche Weise zu Klump schlagen, eh ich eins dieser schlecht ausgebildeten, betrunkenen, überheblichen, halbgebildeten Schweine an mich ranlasse«.
11.4. Den gesamten Tag Gallenkrämpfe
12.4. (Ausgesprochen) Positive Corona-Aspekte: 1) Die Leute »feiern« nicht mehr. 2) Tourismus gibt es nicht mehr. Als hätte es den Begriff, das Phänomen nie gegeben.
13.4. Im Café 2 Talk in den ausliegenden Zeitschriften geblättert. Schlagzeilen, die aufrütteln: CORONA-ANGST: BIO-BAUER WIRFT SICH VOR GOOGLE-AUTO // CORONA-IRRSINN: KOKS-MUTTER VOM AMMERSEE VERPFIFF SCHWARZE WITWE // CORONA-ZUFALL: SKELETT IM GARTEN VON JAUCH-VILLA ENTDECKT
14.4. Schatulle für Kinder: Impfi, das Impfelchen. Das kleine Impfelchen forscht in seinem Mäuselabor rund um die Uhr nach einem Impfstoff, der nicht wehtut und gut schmeckt! Nach anstrengender Reagenzglaspanscherei entdeckt Impfi die Substanz Immunala, und nach ein, zwei beherzten Mäusetests heißt es: Süße Schluckimpfung marsch, Nebenwirkungen Fehlanzeige, Corona ade.
15.4. Mir fällt auf, dass ich seit Ausbruch der Krise praktisch nur noch sog. Dehnbundhosen (Hosen für wechselnde Bauchumfänge) trage. Auch mein Gewicht explodiert, die endgültige Niederlage ist besiegelt.
16.4. Mit Bertram Leyendieker bei ihm daheim gekocht. Vorweg Feldhühnersuppe mit Kastanien, dann Bratwürste mit Zitronenbrühe und Butterknödel. Leyendieker zitiert aus Elias Canettis Aufzeichnungen 1973–1985: »Wehe dem Menschen, dessen Name größer ist als sein Werk.« Und: »Gefahr des langen Lebens: Dass man vergisst, wofür man gelebt hat.« Nachdenklich nach Hause gegangen. Kurz vor dem Einschlafen Idee für eine Serie, die in der Büroszene spielt: Under my scan.
17.4. Durchfall.
18.4. Schatulle-Lebensservice – Lebensoptimierende Maßnahmen (besonders wichtig in diesen Tagen):
Stichwort Verknüpfung. a) Verknüpfen Sie Tätigkeiten, wo immer Sie können: Nägel schneiden, telefonieren, Vermerke machen. b) Verknüpfen Sie den Gang zu Apotheke, Bank, Supermarkt usw. miteinander. c) Legen Sie Haarwäsche und Rasur (Männer), Haarwäsche und Enthaarung (Frauen) stets zusammen.
19.4. Auf allen Kanälen Nervensäge Markus Söder: versulzt, verschlackt, ein teigiges Mondgesicht, in dem wie Rosinen zwei melancholische Glubschaugen stecken. Auch peinlich/nervig: Thomas Glavinic mit seinem Corona-Fortsetzungsroman in der »Welt«.
20.4. Wichtig: Sich in diesen Zeiten auch mal Entspannung vor dem Fernseher gönnen. Gesehen in »Die Wollnys – eine schrecklich große Familie« (RTL II), wie Familienoberhaupt Sylvia Wollny zu Tochter Loredana sagt: »Du knabberst an deinen Lippen, als ob die zu dünn sind. Willst du da noch Botox rein haben?«
21.4. Diffuse Ängste. Abends Schnaps (geht immer).
22.4. Tag des Kieferorthopäden.
23.4. Morgensteifigkeit den ganzen Tag nicht überwunden.
24.4. Gute Idee, der Corona-Song:
Refrain 1
Bin ein kleins Bazill, flatter an und keuch und fleuch
Bring Hust und Schnupf und manches mehr,
Vielleicht die schlimme Lungenseuch
Bin ein kleins Bazill, befall auch deine Nieren,
Zusammen mit mein Onkels, den schlechtgelaunten VIREN
Strophe 1
Alles fängt ganz harmlos an, ich flatter an ganz allein,
Klingel bei der Wirtszelle, doch freundlich bin ich nur zum Schein
Sprech mit rote Blutkörpers, sag: »Ich bin friedlich und allein«,
Doch wenn sie dann schlafen gehen, lass ich mein Kollege rein
Refrain 2
Bin ein schlimms Bazill, dir geht’s bald schlecht wie nie zuvor,
Kriegst Masern und die Scheißerei,
Und ein Geschwulst am Innenohr
Bin ein bös Bazill, bring Unheil auch zu Tieren
Oft werd ich unterstützt von schlechtgelaunten VIREN
Strophe 2
Bin ich in dein Körper drin, vermehr ich mich ganz rasch,
Werd ganz dick und kugelrund, weil ich an der Wirtszell nasch
Dann schwimm ich durch das Blut in jedes Organ
Du machst hust und wirst krank, steckst auch noch ein Mitmensch an
Refrain 3
Bin ein bös Bazill und kenne keine Gnade
Du liegst auf dem Sterbebett, denkst noch »schade, schade«
Liegst du dann im Grab, kann ich jubilieren,
Mache ein groß Fest mit schlechtgelaunten VIREN
Hitverdächtig!
25.4. Ich bleibe i.d.R. von sog. Hasskommentaren verschont, weil ich bekanntlich ein überschaubares, akademisch gebildetes, junges, cooles und vor allem gut erzogenes Publikum anspreche. Man nennt es auch Elite. Wenn ich es mal in aller Unbescheidenheit formulieren darf: Bei HS trennt sich die Spreu vom Weizen. Nur im Millionenpublikum der Satiresendung Extra-3, in der ich gelegentlich auftrete, finden sich ein paar »Hater«. Vor kurzem hatte ich das Thema Prepper am Wickel. Kommentare auf der Extra-3-Facebookseite, Hater 1: »Wen macht dieser Typ auch so aggressiv?« Hater 2: »Er sollte der Erste sein, der sterben muss.« Kam dann aber nichts mehr nach.
26.4. In-&-Out-Liste April.
In: Corona-Liveticker verfolgen, Zinnkupfer – wo der Adel des Feuers reagiert, Streicheleinheiten für die Seele, mundzarte und gaumenfrische Speisen, private Aufstocker, Honorarkonsul Peter Grothe, der Spruch »Zwischen halb acht und halbmast«, Spargelwochen, die Theater-Erfolgsstücke »Bauer sucht Sau« und »Ein Vampir ist doch kein Trauerkloß«, der Song »Pizza und Fehmarn, Netflix und W-Lan, Fehmarn ist Popcorn und Popcorn ist Fehmarn«.
Out: Corona-Nerverei, Schnelle Hand (einfach nur billig), der Spruch »Wird ’ne enge Kiste«, Stuttgart (weil: kaputtgegart bzw. -gespart), der Fake-Hypnotiseur Bernd Klowasser, »Dritter Teller« (der dritte Teller macht den Schwimmring), Koch ohne Appetit, »Handgeld« (Fußballerjargon) machen, wenn überhängende Hautlappen die Farbe von Rost annehmen.
27.4. Gute Virologen-Witze:
1) Wie lange die Krise noch dauert? Frag doch mal deinen Wirro-, äh, Virologen.
2) Wirr, wirrer, Virologe.
3) »Viel Gelaber, wenig Kohle – Virologe« ODER »Mach mal hier keine Woge (von Welle) – oder bist du Virologe?« ODER »(Kölsch) Da hat misch einer abjezoge. – Wer denn? – Na, ein Virologe!«
28.4. In diesen Zeiten heißt es Home-Workout und Online-Yoga. Zum Youtube-Renner entwickelt sich gerade die Übung Herabschauende Herrentitten.
29.4. Enorm deprimierende Verkaufsanzeige: Opel Zafira, Rentner, 1. Hand, Garage, wenig Kilometer, unfallfrei, Nichtraucher, nur im Sommer gefahren, achtfach bereift, Motorschaden, defekte Elektronik, an Bastler oder zum Ausschlachten. Virus-Preis 100 Euro.
30.4. Abends gelesen in Imre Kertész »Letzte Einkehr«. Sechs geile Sätze:
- Wer mit mir lebt, lebt allein.
- Nacht für Nacht werde ich zum Teufel; esse Schmalzbrote.
- Dieses Buch ist nicht mehr das meine; ich verstehe die Geheimnisse seiner Entstehung nicht mehr.
- Wahrscheinlich habe ich mir den operierten Arm verstaucht.
- Mich hat die Langeweile, dieses schreckliche Alterssymptom, eingeholt.
- Es wäre nicht schön, wenn ich zum Lebensende auch noch elende Geldsorgen bekäme.
Nach Notat im Bett.