Inhalt der Printausgabe

DIDDANIC Kult

Megastark, edelgoudafein und dufteklötig:

Die Diddl-Maus wird 30

Für manche bedeutete sie die Welt, andere hätten sie lieber am Galgen statt am Eastpak-Rucksack baumeln sehen. Nichts polarisiert so sehr wie sie: die Diddl-Maus aus der Überschrift. Die Kultmaus, die besonders die Kids und Pärchen der 90er und 2000er begeisterte, hat Geburtstag. Sie wird 30, die Diddl-Maus.

Es ist 2020 und Nadja Sandra ist 32 Jahre alt. Sie lebt in einem Reihenhaus in Bremerhaven und empfängt uns an der Haustür, von der aus es direkt in den Keller geht. Im Internet ist sie gelistet als der größte Diddlfan (www.nadjasandragroessterdiddlfan.de). »Willkommen in der Käsehöhle!« sagt sie, als wir hinter ihr die Stufen hinabsteigen. Was meint sie wohl damit? Der Keller wirkt trist. Findet sie, dass es stinkt? Geht! Doch dann sind wir an ihrem Abteil angekommen. Sie schließt es auf. »Willkommen in der Käsehöhle!« sagt sie jetzt noch einmal, wohl begreifend, dass es vorhin auf den Stufen noch zu früh für die Ankündigung gewesen ist. Wir ­staunen nicht schlecht. Uns blendet fast, was wir da sehen. Pink, blau, lila, gelb und viele andere Farben durchfluten den erschreckend großen Raum. Er ist voller Diddl-Produkte. Da sind Kuscheltiere, Rucksäcke, Bettwäsche, Poster, Geschirr, Regenschirme, eine Druckerverpackung (nicht von Diddl) und vieles mehr (von Diddl). »Bitte nichts einstecken«, sagt unsere Gastgeberin, kurz bevor wir etwas einstecken wollen. 

Nadja Sandra ist eine ganz normale Person. Es gibt in Deutschland unzählige Menschen wie sie. Unzählige Menschen mit ­Tausenden Diddl-Artikeln im Keller. Unzählige ­Menschen in Reihenhäusern. In der zweiten Klasse habe sie angefangen mit dem Sammeln: »Erst mal die Postkarten.« Doch dann war sie schnell angefixt. Den Wettbewerb unter den Klassenkameraden beschreibt sie mit: »Es wurde ein regelrechter Wettbewerb.« Und Diddl ließ einen nie im Stich. Produkte gab es satt. »Wir kamen bald gar nicht mehr hinterher«, seufzt Nadja Sandra, »wir sammelten ja alles in Ordnern … Die Regale waren bald voll, wir hatten zu Hause irgendwann eine eigene Diddl-Bibliothek, mussten anbauen ... Die Blöcke, die Postkarten, die Tüten, die Sticker… Die Blöcke … So viele Blöcke …« Sie wird ohnmächtig.

Ricottatoll: So fing das alles einmal an

Thomas Goletz, der Erfinder der Diddl-Maus, ist nicht besonders redselig. Er gibt kaum Interviews. Jedes Interview, das man mit ihm findet, enthält die Aussage, dass er das eigentlich nicht macht. Und das hat einen guten Grund. Er ist einfach nicht besonders interessant. Relativ interessant ist aber die Geschichte seiner Diddl. 

Aus dem Archiv von Nadja Sandra: Wie die Diddl zu ihrem Namen kam (Recherchefrage: Wie kam Nadja Sandra zu dem Zettel?)

Aufgewachsen ist Goletz in Karlstadt. Oder »Käsestadt«, wie er den Stadtnamen kreativ umwandelt. Weil Mäuse gern Käse essen, und Diddl ist eine Maus. Er verrät uns im Interview, wie das alles anfing. Nachdem er das Abitur am Dreikäsehochkönigsgymnasium absolviert hatte, zog er weg von seinen Eltern Hartkäsewig und Kästin Goletz (geborene Gorgonzola). Er mietete sich eine kleine Bude, »meine erste kleine Käsefabrik«, und arbeitete dort als Grafiker. »Dann musste ich allerdings wieder ausziehen, meine Wohnung hatte Schimmel.«

Wir haken ein: »Wollen Sie da nicht vielleicht noch mal … also, das Wort Schimmel ist ja …«

Goletz scheint unkonzentriert: »Hä, wieso?«

»Na ja, … Sie wissen schon … Schimmelkäse!« schlagen wir vor. 

»Verstehe ich nicht.«

Es ist also 1990. Ein junger Mensch sitzt in seiner neuen Bude und möchte mit seiner Kreativität die Welt verändern. Doch auch Thomas Goletz hat Pläne. Er zeichnet so vor sich hin. »Am Anfang waren es einfach diese ausgemalten Kästchen vom karierten Papier. Dann Strichmännel. Schließlich dachte ich, wie lustig es wäre, wenn die Strichmännel große Füße hätten. Ich habe in der Zeit viel gekifft.« Dann ging alles ganz schnell: »Große Ohren waren meine nächste Idee … Dann ein Körper. Und dann war es halt eine Maus.« Und wie kam es zum Namen? »Das kam irgendwie so zustande, Diddl klang einfach halloumigut.«

Die Produktpalette wurde schnell erweitert, und die Diddl zierte bald auch Tassen, Handyhüllen, Coffee-to-go-Becher, Boxershorts, Umzugskisten, Teller, Stifte, Obst, Lampen, Tische, Sofas, Häuser, BHs, Schaufel und Besen, Backpapier, Aschenbecher, Kleiderbügel, Verdichtungsringe, Werkzeugkästen, diese kleinen Schrauben von Brillen, Uhren, Zigarettenpackungen und Blöcke. In Klassenzimmern und Tauschbörsen wurde getauscht und verkauft, der Sammlerwert einzelner Produkte stieg ins Unermessliche. Bisweilen war die Diddl erfolgreicher als Mickey Mouse, die Rolling Stones und Bundeskanzler Helmut Kohl. Sie wurde um die Jahrtausendwende in 598 Ländern vertrieben. In China heißt die Diddl zum Beispiel Diddo, in England Theddl, in Frankreich »Mousse au fromage«, nur in Japan hatte sie keine Chance. Der weltweite Umsatz betrug im Jahre 2000 2,9 Billionen. Allerdings noch in Mark. Der Präsident von Nauru (Ozeanien – Mikronesien) hat 2004 eine Diddl-Büste errichten lassen. Es ist die größte freistehende Diddl-Büste der Welt.

Auf die Frage, ob es unmoralisch sei, Kinder finanziell derart auszunehmen, winkt Goletz ab: »Es war letztlich wie das, was man heute als Crowdfunding bezeichnet. Kinder bezahlen Geld, das mir zugute kommt, dafür gebe ich ihnen neue Produkte, deren Erlöse mir wieder zugute kommen.« Er lebt heute in einem Käsepalast an der Hamburger Elbe und beschäftigt mittlerweile 234 571 Menschen.

Die fetale Sache mit Diddlina und das hartkäsetotgeschwiegene Kapitel der Diddl

Shitshala, die Papiersesseltaube

Schnell bekam Diddl Freunde, um die Produktpalette zu vervielfachen. Aus den Rippen der Diddl schuf Goletz bereits 1991 Diddlina, »eine Idee meiner Frau Thomasina Goletzina«, wie er mal in einem seiner zahlreichen Interviews verriet. Weitere Figuren waren Kitschkatsch, die kauka­sische Weinbumsschnecke, Gurlhom, der Torpedo­strumpfdelfin, Pömpl, das Pömpltier, Schmiltis, die südostafrikanische Knutsch­­wurm­amöbe, Shitshala, die Papiersesseltaube und Bufftata, das Wechselbad-Tigermädchen. Verworfene Figuren waren Kumsargs, das Schwanzpanzerkätzchen, Miggl, der Hund, und Schnaddog, der Zitronenvater.

Doch auch andere Kapitel des Käseblattes bleiben bis heute unaufgeschlagen. Einmal in der Popkultur angekommen, wurde Goletz übermütig. Die Partys wurden groß wie einst die Diddl­ohren, die ­Drogen stärker, und die Löchersberger Käse­limonade lief in Strömen. Erkennen konnte man das an der Space-Edition der Diddlpost­karten von 1999. Die meist blau-lilafarbenen ­Hinter­gründe und Sprüche wie »Viele Grüße aus der Ferne« oder »Kann nicht einschlafen ohne Dich« werden heute von Kunstkennern als psychedelische Meilensteine der 90er-Popästhetik gefeiert, doch dahinter steckt ein trauriger Absturz.

Emmentalertraurig: Zurück zu Nadja Sandra

»Die Community war eigentlich das Wichtigste«, erklärt sie, noch etwas benommen. Doch es gab auch traurige Momente. Einmal verlor sie eine Brieffreundin im großen Blöckestreit von 1999, weil diese »Ich habe dich lieb« auf ein Papier eines seltenen Diddl-Blockes geschrieben hatte. »Das war das Fieseste, was mir jemals jemand angetan hat.« Nadja Sandra hat wirklich alles von damals aufgehoben und bewohnt aus diesem Grunde noch weitere Reihenhäuser in der Straße. »Hier ist noch eine Kiste mit persönlichen Diddl-Erinnerungen.« Darin befinden sich die Einkaufszettel der Diddl-Beschaffungen, die Fahrkarten, die sie für die Fahrten zum Karstadt benutzte, je eine Haarsträhne und ein Finger- oder Fußnagel von den Tagen der Einkäufe, viele leere Diddl-Freundebücher sowie die einstweilige Verfügung von Goletz.

Die Zeichnung der damals 11jährigen Manuela Pätsch, die Thomas Goletz wegen Urheberrechtsverletzung 2002 verklagte. Pätsch zahlt bis heute die 150 000 Euro ab.

Über 4 360 882 verschiedene Produkte gab es im Laufe der Jahrzehnte. Das kann man sich natürlich nicht alles leisten. »Klar, ich musste Abstriche machen«, sagt Nadja Sandra, die nach ihrer Schätzung im Laufe ihres Fanlebens nur 4 360 764 Artikel erstanden hat. »Mir fehlt zum Beispiel etwa ein Sechstel der Verlängerungskabel-Edition von 2002. Falls das jemand liest und mir da aushelfen kann, würde ich mich freuen! Ich könnte zum Beispiel tauschen gegen ein paar Marmorkacheln von 2007. Da habe ich einige doppelt. Das wäre wirklich parmesantastisch!«

Und was ist mit Diddl? Die Altenburger ziegenkäsegeile Maus schaut jetzt in die Zukunft. So plant Goletz zum Beispiel, bald auf ­Facebook zu gehen. Die Kam­pagne einer Hamburger Werbeagentur mit neuen Käsewörtern steht angeblich auch schon in den Emmentalerstart­löchern.

Paula Irmschler

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ei Gude, Nancy Faeser!

Ei Gude, Nancy Faeser!

Als Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl stellen Sie im Wahlkampf wöchentlich eine weitere Verschärfung des Asylrechts in Aussicht, um bei Ihren stockkonservativen hessischen Landsleuten zu punkten. Das Dumme ist nur, dass Sie damit bis jetzt bei Ihrer Zielgruppe nicht so recht ankommen. Der sind Sie einfach zu zaghaft.

Da hilft nur eins: Klotzen, nicht kleckern! Ihr Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) hat es doch vorgemacht und sich über die Abschiebung von 69 Afghan/innen an seinem 69. Geburtstag gefreut! Das haben alle verstanden. Tja, Ihr 53. Geburtstag am 13. Juli ist schon rum, die Chance ist vertan! Jetzt hilft nur noch eins: gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Thilo Sarrazin!

Und flankierend: eine Unterschriftensammlung gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die es Migrant/innen erleichtert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne die eigene aufzugeben. Für Unterschriftenaktionen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind die Hess/innen seit jeher zu haben (»Wo kann ich gegen die Ausländer unterschreiben?«). Und dass Sie damit gegen Ihren eigenen Gesetzentwurf agitieren – das werden die sicher nicht checken!

Darauf wettet Ihre Wahlkampfassistenz von der Titanic

 Du, Krimi-Autorin Rita Falk,

bist mit der filmischen Umsetzung Deiner zahlreichen Eberhofer-Romane – »Dampfnudelblues«, »Sauerkrautkoma«, »Kaiserschmarrndrama« – nicht mehr zufrieden. Besonders die allerneueste Folge, »Rehragout-Rendezvous«, erregt Dein Missfallen: »Ich finde das Drehbuch unglaublich platt, trashig, stellenweise sogar ordinär.« Überdies seien Szenen hinzuerfunden worden und Charaktere verändert. Besonders verabscheuungswürdig seien die Abweichungen bei einer Figur namens Paul: »Der Film-Paul ist einfach ein Dorfdepp.«

Platt, trashig, ordinär – das sind gewichtige Vorwürfe, Rita Falk, die zu einer vergleichenden Neulektüre Deiner Romane einladen. Da fällt uns übrigens ein: Kennst Du die Geschichte vom Dorfdeppen, der sich beschwert, dass der Nachbarsdorfdepp ihn immer so schlecht imitiert?

Wär’ glatt der Stoff für einen neuen Roman!

Finden Deine Trash-Flegel von Titanic

 Sind Sie sicher, Rufus Beck?

Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur zum 25. Jubiläum des Erscheinens des ersten deutschsprachigen »Harry-Potter«-Buchs kamen Sie ins Fantasieren: Würde Harry heutzutage und in der echten Welt leben, dann würde er sich als Klimaschützer engagieren. Er habe schließlich immer für eine gute Sache eingestanden.

Wir möchten Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass Harry Potter ein Zauberer ist, sich folglich gar nicht für den Klimaschutz engagieren müsste, sondern ihn mit einem Schnips obsolet machen könnte. Da allerdings in sieben endlos langen »Harry Potter«-Bänden auch keine Klassenunterschiede, Armut oder gar der Kapitalismus weggezaubert wurden, fragen wir uns, warum Harry gerade bei der Klimakrise eine Ausnahme machen sollte. Aber wo Sie schon so am Fabulieren sind, kommen wir doch mal zu der wirklich interessanten Frage: Wie, glauben Sie, würde sich Ihr Kämpfer für das Gute zu Trans-Rechten verhalten?

Hat da so eine Ahnung: Titanic

 Sakra, »Bild«!

Da hast Du ja wieder was aufgedeckt: »Schauspieler-Sohn zerstückelt Lover in 14 Teile. Die dunkle Seite des schönen Killers. Im Internet schrieb er Hasskommentare«. Der attraktive, stinknormal wirkende Stückel-Killer hat Hasskommentare im Netz geschrieben? So kann man sich in einem Menschen täuschen! Wir sind entsetzt. Dieses Monster!

Indes, wir kennen solche Geschichten zur Genüge: Ein Amokläufer entpuppt sich als Falschparker, eine Kidnapperin trennt ihren Müll nicht, die Giftmischerin hat immer beim Trinkgeld geknausert, und das über Leichen gehende Hetzblatt nimmt’s gelegentlich mit der Kohärenz beim Schlagzeilen-Zusammenstückeln nicht so genau.

Grüße von der hellen Seite des Journalismus Titanic

 Puh, 47jährige,

bei Euch läuft es ja nicht so rund gerade. »Nur mit Unterhose bekleidet: 47-Jähriger flippt an Trambahn-Haltestelle aus« müssen wir pfaffenhofen-today.de entnehmen. InFranken meldet: »143 Autos in vier Jahren zerkratzt – 47jähriger Verdächtiger wurde festgenommen«, und schließlich versaut Rammstein-Ekel Lindemann Euch noch zusätzlich das Prestige. Der ist zwar lang nicht mehr in Eurem Alter, aber von dem Lustgreis ist in letzter Zeit dauernd im Zusammenhang mit Euch die Rede, weil er sich als 47jähriger in eine 15jährige »verliebt« haben will.

Und wenn man sich bei so viel Ärger einfach mal einen antrinkt, geht natürlich auch das schief: »Betrunkener 47-Jähriger landet in Augustdorf im Gegenverkehr«, spottet unbarmherzig lz.de.

Vielleicht, liebe 47jährige, bleibt Ihr besser zu Hause, bis Ihr 48 seid?

Rät die ewig junge Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kartoffelpuffer

Die obligatorische halbe Stunde, die deutsche Rentnerehepaare zu früh am Bahnhof erscheinen.

Fabio Kühnemuth

 Brotlose Berufsbezeichnung

Ich arbeite seit Jahren erfolgreich als honorarfreischaffender Künstler.

Jürgen Miedl

 Backpainer-Urlaub

Eine Thailandreise ist die ideale Gelegenheit, sich bei unzähligen Thaimassagen endlich mal jene Rückenschmerzen rauskneten zu lassen, die man vom Tragen des Rucksacks hat, den man ohne die Thailandreise gar nicht gekauft hätte.

Cornelius W. M. Oettle

 Löffelchenverbot

Ich könnte niemals in einer Beziehung mit Uri Geller sein. Ich will mich einfach für niemanden verbiegen.

Viola Müter

 Tagtraum im Supermarkt

Irre lange Schlange vor der Kirche. Einzelne Gläubige werden unruhig und stellen Forderungen. Pfarrer beruhigt den Schreihals vor mir: »Ja, wir machen gleich eine zweite Kirche auf!«

Uwe Becker

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.10.2023 Frankfurt, Elfer Hauck & Bauer mit Julia Mateus
08.10.2023 Berlin, BAIZ Katharina Greve
10.10.2023 Cuxhaven, Ringelnatz-Museum Thomas Gsella
10.10.2023 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview«