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Ein Besuch in der Bitcoin-Mine
Egal ob Jay-Z, Goldman Sachs oder der eine Typ aus deinem Bekanntenkreis: Sie alle handeln mit Bitcoin. Doch was steckt wirklich hinter so kryptischen Begriffen wie Blockchain, Mining oder Elon Musk? Wie entsteht die digitale Münze? TITANIC wollte es genau wissen und besichtigte eine Bitcoin-Moneyfaktur.
"Nur hereinspaziert, ich habe schon alles für euch vorbereitet!" Satoshi Wright empfängt uns im Eingangsbereich der "Mr. Wright Cyber-Schürf- und Minecraft GmbH & Coin KG". Dynamisch setzt er sich einen Bergmannshelm und ein sympathisches Lächeln auf. Auch wir müssen uns umziehen: gelbe Gummistiefel, orange Warnwesten, weiße Helme. Wir sind verwirrt. "Ihr seht verwirrt aus!" lacht der CEO. "Das geht allen so, die unsere Moneyfaktur besichtigen. Bitcoins: Da denkt jeder an sterile Serverräume voller meterhoher Computerberge. Aber die Wahrheit sieht ganz anders aus. Hier wird ordentlich angepackt und man macht sich die Programmiererhände noch richtig schmutzig. Come on! Ab zum Grubenhunt!"
In unserer intensiven Vorrecherche (Wikipedia) erfuhren wir bereits, dass neue Bitcoin-Einheiten "durch die computerbasierte Lösung kryptographischer Aufgaben, das sogenannte Mining (Schürfen)" entstehen. Das es sich dabei um mehr als ein Sprachbild handelt, hätten wir nicht gedacht. Nun sitzen wir aber in einem kleinen Grubenhunt-Gefährt, das holprig Fahrt aufnimmt. Auf einem Schild am Wegesrand prangt: "Zur Bitcoin-Mine". Wright drückt einen Knopf auf seiner Apple Watch. Es öffnet sich direkt vor uns ein gigantisches Loch im Boden – der Eingang zum Mining-Stollen. Es scheint weit nach unten zu gehen. Keine drei Meter reichen unsere verängstigten Blicke, bevor sie von einem tiefen Dunkel, düsterer als das Darknet, verschluckt werden. Im Vergleich zu dieser Talfahrt ist die Aktienkursentwicklung nach einer geplatzten Kryptowährungsblase ein Kindergeburtstag.
Den Gastgeber amüsiert unserer Unsicherheit. "Na, habt ihr Angst so brachial abzustürzen wie ein Windows-Betriebssystem? Keine Sorge: Ich darf mit dem Ding fahren – ich hab den Europäischen Computerführerschein! Außerdem ist diese Schienennetzverbindung sicher. Jetzt brauch ich nur noch schnell eure digitale Signatur, dass ihr auf eigne Verantwortung mitfahrt." Ein Häkchen unter den ellenlangen Geschäftsbedingungen und eine wilde Achterbahnfahrt später haben wir es geschafft: Wir stehen direkt in der Bitcoin-Mine. Was wir dort sehen macht uns sprachlos wie ein stumm geschaltetes Siri. Es ist unbeschreiblich. Hier unsere Beschreibung: Überall wuseln Billionen von kleinen Geschöpfen in der Form von Nullen und Einsen. Es erinnert an das geschäftige Treiben in einem Ameisenhaufen. Mit winzigen Hämmerchen schürfen die seltsamen Zahlen-Wesen im Gestein. Immer wieder hört man ein lautes, helles: "Yippie!" Dann ist eine Null oder Eins auf einen Bitcoin gestoßen und gräbt ihn aus. Es ertönt ein lauter Cash-Sound und schon wandert der Fund in eine riesige Sparbüchse in der Mitte der Mine.
"Überfordert das euer kleines, zerebrales Rechenzentrum?" fragt der Tourguide, sichtlich begeistert von unserem Erstaunen. "Das ist meine gute Mine zum bösen Deal! Hihi! Früher fand das alles rein digital statt, hinter festen Computergehäusen. Aber dann haben sich die Nullen und Einsen aufgrund eines Softwarefehlers materialisiert und sind durch eine undichte Stelle im System einfach raus marschiert. Wegen dieser offenen Lücke ist es wahrlich eine Open Source." Wright zwinkert in unsere verständnislosen Gesichter. "Man könnte es für hanebüchenen Unsinn halten, würdet nicht ihr in eurer Reportage so glaubwürdig darüber berichten." Unser Blick fällt auf eine lange, silbrige Fußfessel, an die sämtliche Nullen und Einsen gekettet sind.
"Das ist die sogenannte Blockchain. Die fipsigen Tunichtgute versuchen nämlich ständig auszubüxen. Die wollen sich vor der Arbeit drücken und lieber Spiele programmieren. Deshalb müssen sie sich stündlich bei einer Stechuhr mit digitalem Fingerabdruck registrieren – zum Proof of Work. Und seht ihr die Einsen da drüben?" Er zeigt auf drei besonders verzweifelt wirkende Exemplare. "Die wollten vor zwei Wochen eine Algorithmen-Gewerkschaft gründen. Sie nennen sich 'Die Roten Zahlen' … Da musste ich hart durchgreifen! Zur Strafe müssen sie jetzt meine Steuererklärung durchrechnen. Eine Gewerkschaft?!" Er schüttelt irritiert den Kopf: "Was ist denn das für eine Arbeitshaltung? Ich sag immer: Rechenleistung muss sich wieder lohnen – und zwar für mich als Geschäftsführer!"
Plötzlich vibriert Wrights Smartphone. Er liest eine Nachricht. Die Miene des Minenbesitzers verfinstert sich. "Ein paar Nullen machen Probleme: Sie fordern zehn Minuten Rechenpause pro Jahrzehnt. Aber nicht mit mir! Ich lass mich doch von denen nicht zum McAfeen machen!" Bedrohlich knackt er die Fingergelenke im Zehnfingersystem. "Leider könnte das dauern. Wenn die Gemüter mal heiß laufen wie ein Disketten-Laufwerk der 70er … Aber sobald ich mit den Winzlingen abgerechnet habe, fahren wir wieder hoch – zum Ausgang. Dann bilden wir in unsrer Cafeteria, der 'Bar(geldlos)', ein kleines Bier-to-Bier-Netzwerk!" Wrights keckes Augenzwinkern legt uns nahe, dass das erneut eine Anspielung auf irgendwas hätte sein sollen. Dann greift der IT-Titan in seine digitale Brieftasche, steckt uns einen Bitcoin für den Kaffeeautomaten zu und macht sich entschlossenen davon.
Wir wissen nicht, was wir von all dem halten sollen. Werden Bitcoins tatsächlich so hergestellt? Darf man das alles für bare Cyber-Münze nehmen? Oder hat man uns mit einer abstrusen Show zum Narren gehalten? Eines wird uns während dieser Wartepause jedenfalls klar: Es gibt zumindest eine Wahrheit, die auch hier, in dieser für den Laien so unverständlichen Welt der digitalen Währungen gilt: Automatenkaffee schmeckt scheußlich!
Jürgen Miedl