Humorkritik | November 2018

November 2018

Lachen ist auch so eine Kraft der Schwachen!
Bertolt Brecht

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ist das Wort »Wort«, ausgedrückt in Maschinencode, der Ebene über der binären Unterwelt aus Nullen und Einsen. Mechanische Arrangements, die an Konkrete Poesie erinnern, und dadaistisch, surrealistisch oder hermetisch ihr Sprachmaterial runterorgelnde Texte: Besseres haben die Apparate seit den sechziger Jahren, als man erstmals literarisch mit ihnen rechnen konnte, kaum je ausgespuckt.

Hannes Bajohrs »Halbzeug« (Suhrkamp) sieht entsprechend aus. Und doch: Manchmal beweist der Autor, dass Computerdichtung, obwohl sie eine fremde Sportart zu sein scheint, ein Fall für die Humorkritik sein kann. Folgt der Rechner etwa dem Befehl »Suche alle Vier-Wort-Verbindungen in den Grimmschen Hausmärchen«, kommt wunschgemäß ein Gedicht heraus, das von »es war einmal und« bis »wenn’s mir nur gruselte« den Grimm-Sound einfängt und ein dunkles, nun komisches Grundmuster ans Licht bringt. Richtig finster geht es erwartungsgemäß in Managementfibeln zu: Ordnet man alle darin mit »Sie müssen« beginnenden Sätze zu einem Gedicht, dann lautet dessen Pointe: »Sie müssen Ihr Leben, alles, was Sie bisher getan haben, Ihre kompletten Pläne und Ziele ändern – oder Sie werden sterben.«

Halbzeug, also unfertige Ware zwischen Rohstoff und Endprodukt, nennt Bajohr seine Texte deshalb, weil er sie als »Work in Progress« versteht, das stets weiter verändert werden darf. Der Begriff hat aber auch seine zweite Bedeutung, weil das von der Maschine gelieferte Wortmaterial nur mithilfe des Autors halbwegs literarische Form gewinnt: Immer noch ist der Computer nämlich bloß ein stumpfsinniger Hilfsarbeiter und kriegt nichts hin ohne einen Menschen, der ihn mit Rohstoff füttert, die Regeln festlegt und am Ende womöglich auswählt, ordnet, kürzt, also mit den Fingern eingreift. Dann aber kann es mitunter sogar parodistisch werden, die Maschine kratzt an der Patina der Originale, Günter Eichs »Inventur« heißt »Räumungsverkauf« und klingt nicht mehr nach armseligem Nachkrieg, sondern wie eine Persiflage auf den unnützen Warenüberfluss: »Dasselbe ist meine Glossenfibel, / dasselbe mein Wigwamweg, / dasselbe ist mein Prankengespinst / dasselbe ist mein Bindemittel.«

Der Computer kann nur Synonyme bereitstellen, aber damit es einigermaßen sinnvoll und komisch wird, muss sein menschlicher Auftraggeber die albernsten aussuchen. Und auch amüsieren können sich darüber ausschließlich – Menschen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg