Humorkritik | Mai 2018

Mai 2018

Die mit Abstand lustigste Zahl ist 123.
Prof. Dr. Christian Hesse, Ph. D.

Karussell der Blödiane

Wenn sich ein junger Vorlesender nur mit falscher Brille, falscher Nase und falschem Schnurrbart auf die Bühne traut, obwohl ihm sein Publikum überaus freundlich gesonnen ist, ja ihn sogar belacht, umjubelt und bekreischt – was ist da los?

Dies ist los: Sebastian Zawrel alias »Willy Nachdenklich«, (Mit-)Schöpfer der »Vong-Sprache«, schämt sich offenbar ein wenig. Zu Recht. Denn lustig ist an dieser seiner absichtsvoll verhunzten Form des Schreibens voller Tippfehler, Verballhornungen und der Ziffer 1 anstelle des unbestimmten Artikels nämlich nichts mehr, spätestens seit sie ab ca. 2016 von Sparkassen, Polizei und der Bundesregierung als hipper Werbe-Zierrat entdeckt und von Duden und Langenscheidt eingemeindet wurde. Darauf zu verzichten, den alten Trend zu einem Buch zu verwursten (»1 gutes Buch vong Humor her«, Reclam), mag Zawrel jedoch auch wieder nicht; lieber geht er damit auf große Tour (die Veranstaltungsseite vermerkt Termine bis Ende 2019).

Kein Wunder, daß ihm sein Gesicht dafür zu schade ist. Denn den irgendwie aufklärerischen und subversiven Zug, den das Ganze einmal hatte, als es die Pose des vermeintlich Nachdenklichen, Tiefen, Schwärmerischen, mitunter Muffelig-Deutschtümelnden der diversen Sinnspruch-Vermarkter in den sozialen Netzwerken parodieren wollte, hat Zawrel völlig aufgegeben. Hinter der Fassade des bekicherten »Schnetterling«-»Fotz Fiesta«-»I bims«-Slangs und hinter viel Sex-und-Kacka-Geträller (in K.o.-Tropfen getränkte Brustwarzen, Ravioli-Durchfall, popelfutternde Fußballtrainer) schimmert inzwischen der offene Klassenhaß durch. Wie beim »ironischen« Konsum von Privatfernsehformaten kulminiert auch hier die Verachtung Schwächerer in dicken, alleinstehenden Unterschichtsfrauen, auf die kräftig projiziert und über die bei aller zwinkrigen Uneigentlichkeit ganz eigentlich gelacht und gejohlt wird. Sie dürfen denn auch unbefangen RTL schauen, dürfen kacken, pupsen, in all ihrer Unansehnlichkeit auf Männersuche gehen und dabei in der Disko versagen, dürfen »Unheilig« und »Helene Ficker« hören und im AfD-Ortsverband sein. Bzw. müssen es sogar.

Denn anders geht dieser Humor-Humor nicht auf, bleibt leer das an die Stelle der Pointe gerückte Klischee und unbedient der brave Witzig-Bürger, der dem Proll vom Dorfe jenes triste Leben andichtet, das er selber führt, und dabei stets auf der Hut zu sein hat, sich nicht aus Versehen noch selbst auf die Schliche zu kommen. Das wäre schließlich fast schon wieder wie in einem Sinnspruch, und würde nachdenklich stimmen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg