Humorkritik | Mai 2018

Mai 2018

Die mit Abstand lustigste Zahl ist 123.
Prof. Dr. Christian Hesse, Ph. D.

Diaphane Zikkurats gegen Trump

»Kann sein, ich brauch ’ne Pause«, hörten Sie mich armen alten Mann im letzten Monat seufzen. Grund: die nimmermüd fortblödelnde Trumperei samt der sich beherzt in immer höhere Metaebenen flüchtenden Late-Night-Satiriker, die mit herkömmlicher komischer Kritik all des Quatsches nicht mehr Herr zu werden glauben. Drum war ich doppelt froh, die vielbesprochene, Anfang des Jahres im Tropen-Verlag auf deutsch erschienene Präsidentensatire »Pussy« des britischen Schriftstellers Howard Jacobson ein Weilchen auf dem Nachttisch liegengelassen zu haben.

Die wirkte nämlich jetzt, angesichts des rasend ermüdenden Wettlaufs zwischen Trump und den Trump-Ironikern, ungewohnt konservativ. Schon in der Bauart ist dieser Roman wie nach Schema Swift konzipiert: Er spielt in der »Republik Urbs-Ludus«, Trump ist ein Karriere machender Prinz namens »Fracassus« – zum Glück besitze ich ein Fremdwörterbuch: der Fracas: (veralt.) Lärm, Getöse – , und die Wut, mit der Jacobson (*1942) seinen Gegenstand bearbeitet, kommt ohne jede modische Distanz gleich zum Punkt: »Wenn einem applaudiert wird, denkt man zweifellos, das passiere wegen etwas, das man gesagt oder getan hat, oder einfach wegen seines Aussehens. Belehrt Euch selbst eines Besseren. Man füllt bloß ein Vakuum. Das Verlangen nach jemandem, egal wer es ist, war schon lange vor einem da. Man ist bloß das Objekt der Angewohnheit Hysterie.« Denn: »Was ist es? Warum schauen wir ihn«, Fracassus/Trump, »an? Er besitzt das Gegenteil von Charisma und das in einem Ausmaß, daß die Leute stundenlang anstehen, um herauszufinden, warum sie bloß stundenlang anstehen.«

Das klingt erst einmal nach bräsiger Erklärsatire, bedeutet aber nicht, daß Jacobson nicht auch hin und wieder die Figurenrede beherrschen würde, etwa die der Reaktionären – und da kann es durchaus komisch werden: »Na klar, diese alte Giftkastanie, Lohngleichheit für Frauen. Klingt unschuldig, oder? Aber nichts endet dort, wo es anfängt, Fracassus. Zuerst gleicher Lohn, dann bezahlte Freistellung bei Regelbeschwerden, dann fünf Jahre Mutterschutz, dann Kita-Zuschüsse, dann noch mal fünf Jahre Ausfall wegen postnataler Depression, dann Freistellung bei bis zu zwölf Migränen jährlich bei ansteigenden Bonuszahlungen, und ehe wir’s uns versehen, steigen uns die Anarcho-Syndikalisten aufs Dach und verlangen ein Gesetz dafür, daß Croupiers flache Schuhe und Hostessen Hosen tragen müssen.«

Ein grundsätzlicher Zweifel bleibt: Ob es ratsam ist, in der Darstellung trivialer Bösewichte wie Trump auf allzuhohe Türme der Überlegenheit zu klettern? Ob eine Figur von solcher Hohl- und Dummheit wirklich in »Urbs-Ludus« wohnen muß, zwischen »Obelisken« und »Zikkurats«, oder ob die Erwähnung von »Millefeuilles«, »diaphan«, »Sibilanten«, »plethorisch-platonisch«, »Perturbation« und dem »Empyreum« nicht vor allem dazu gut ist, Distinktion herzustellen und klugen Menschen wie mir ihre Überlegenheit zu bestätigen? Bzw. sie noch öfter zum Fremdwörterbuch greifen zu lassen?

Ich fürchte, daß man dabei mit Kanonen auf Spatzenhirne zielt, die nicht merken, wenn sie getroffen werden.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du wiederum, »Spiegel«,

bleibst in der NBA, der Basketball-Profiliga der Männer in den USA, am Ball und berichtest über die Vertragsverlängerung des Superstars LeBron James. »Neuer Lakers-Vertrag – LeBron James verzichtet offenbar auf Spitzengehalt«, vermeldest Du aufgeregt.

Entsetzt, Spiegel, müssen wir feststellen, dass unsere Vorstellung von einem guten Einkommen offenbar um einiges weiter von der Deiner Redakteur/innen entfernt ist als bislang gedacht. Andere Angebote hin oder her: 93 Millionen Euro für zwei Jahre Bällewerfen hätten wir jetzt schon unter »Spitzengehalt« eingeordnet. Reichtum ist wohl tatsächlich eine Frage der Perspektive.

Arm, aber sexy: Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

 Hi, Daniel Bayen!

Sie sind sehr jung und waren mit Ihrer Firma für Vintage-Klamotten namens Strike vorübergehend sehr erfolgreich. Die ist jetzt pleite, machte aber zeitweise 2,9 Millionen Euro Umsatz. Der Bedarf war so groß, dass Correctiv-Recherchen zufolge sogar massenhaft Neuware zwischen die Secondhand-Bekleidung gemischt wurde. Auch Sie räumten demnach ein, gefälschte Ware geordert zu haben. Allerdings, so behaupten Sie, nur, um Ihren »Mitarbeitern zu zeigen, wie man gefälschte Ware identifiziert und aussortiert«.

Aber Bayen, Ihre Expertise besteht doch darin, neue Sachen auf alt zu trimmen. Also versuchen Sie bitte nicht, uns solche uralten Tricks zu verkaufen!

Recycelt Witze immer nach allen Regeln der Kunst: Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Beim Aufräumen in der Küche

Zu mir selbst: Nicht nur Roger Willemsen fehlt. Auch der Korkenzieher.

Uwe Becker

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster