Humorkritik | November 2017

November 2017

Das Lachen verlangt Arglosigkeit, die meisten Menschen lachen aber am häufigsten boshaft.
Fjodor Dostojewski

Klischee ade?

Lachen ohne Klischees: »PCCC, Vienna’s First Queer Comedy Club, is going beyond the cliché«, und zwar mit »punchlines that are 100% free from ›funny‹ accents, ›men are like this‹ (penis) and ›women like this‹ (shoes)« – ich staunte sehr, als ich diese Ankündigung eines »politically correct comedy club« (PCCC) las, denn seine Umsetzung stellte ich mir als eine Art Hürdenlauf vor: Wie schafft man es, Witze zu machen, die Klischees, also Erwartungen, weder bedienen noch sie unterlaufen? Völliger Klischeeverzicht, so befürchtete ich, würde nur in einem enden können: im Bespötteln des immergleichen Menschlich-Allzumenschlichen, des kleinsten gemeinsamen Nenners. Und so war ich gespannt, wie und ob die Auftretenden ihren Parcours meistern würden.

Zehn Minuten ging es gut. Die vortragende Chefkünstlerin Denice Bourbon hatte sich gerade noch über ihre Schwäche lustiggemacht, immer und überall gewinnen zu wollen und selbst bei Monopolysiegen Freudentänze aufzuführen, als sie plötzlich auf Italien zu sprechen kam: »I can’t handle Italy«. Bedrohlich erhob sich die schmutzige Hürde »Ethnochauvinismus«. Doch die Künstlerin sprang, und die Hürde blieb stehen: Denn der Hauptwitz zum Thema bestand darin, daß man nach wenigen Tagen Italienurlaub die eigene Sprache verlerne und jede Straße »strada«, jeden Supermarkt »supermercato« nenne. Puh. Sodann wurden Musikgeschmäcker geschmäht: »Some people have the taste of a six year old truck driver« – und hier wurde ich unruhig. Der Witz gefiel mir, aber war er nicht latent kinderfeindlich? Gar truckerfeindlich? Die Künstlerin verließ die Bühne, es ging auf deutsch weiter, und ich durfte dieses vernehmen: »Heterosexuelle Cis-Männer sind so dumm – wenn sie Schnitzel mit Jägersoße essen, dann denken sie, heterosexuelle Cis-Frauen äßen Schnitzel mit Sammlersoße.«

Auweia. Als humorsexuellem Cis-Mann wurde mir kurz unwohl. Nicht, weil ich mir von einem Theatersaal tatsächlich einen safe space erwartet hätte, sondern weil die Pointe so schlecht war. Weiter: »Gläubige Christen leben mit ihrem Gott wie in einer abusive relationship« – ja doch, lustig, aber nicht auch etwas christenfeindlich? Ich frage das nicht hämisch, sondern tatsächlich interessiert: Hätte das tatsächlich funktionieren können, zweieinhalb Stunden lang Witze ohne Opfer zu machen? Wenn sich, wie im PCCC geschehen, einer der Auftretenden über seinen Spießerbruder lustigmacht, der an diesem Abend nicht anwesend sei, weil er Angst vor der gefährlichen, schmutzigen, schwulen Großstadt habe und lieber mit Frau und Kindern im provinziellen Nazidörfchen hocke, dann bedient das Klischees. Wenn sich als wahre Erklärung für die Abwesenheit herausstellt, daß der vorgeblich provinzielle Bruder an diesem Wochenende bereits etwas anderes vorhat – nämlich zwei afghanische Flüchtlingsfamilien zu bekochen –, dann unterläuft das Klischees.

Mit Verlaub: Ohne Klischees wird es eben eng. Sogar ein Akzent wurde an diesem Abend noch nachgemacht (eine anscheinend ägyptischstämmige Kabarettistin mit angeblichen Vorfahren im Pharao-Milieu imitierte ihre Mutter), und es fehlte also nichts, was nicht an einem heteronormativen Comedy-Abend auch stattgefunden haben könnte. Zu dem ich aber im Zweifel gar nicht hingegangen wäre. Auf ein wirklich lupenrein politisch korrektes Kabarett ohne Opfer und ohne Verletzungen warte ich hingegen gerne noch länger.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg