Humorkritik | Juli 2017

Praise Paul

Zum Ausgleich für den ärgerlichen aber schnell noch ein lobenswerter Murray: Paul heißt er mit Vornamen, Schriftsteller ist er, sein dickes, dialogreiches Buch »Der gute Banker« ist letztes Jahr auf deutsch bei Antje Kunstmann erschienen, und wenn Sie immer schon wissen wollten, wie man teure Restaurants besucht, ohne zu bezahlen, dann können Sie es hier lernen: Paul, ein erfolgloser Schriftsteller, führt Claude, den titelgebenden Banker und Ich-Erzähler, in ein gehobenes Lokal aus, um ihn dort von seiner geplanten Website zu überzeugen, die sich mit dem Stalken wunderschöner Kellnerinnen beschäftigt. Es ist nicht Pauls erster Versuch, Claude Geld zu entlocken, und so springt Claude nicht an, was Paul ins Grübeln bringt: »Ich spiele mit offenen Karten. Ich habe nur zwanzig Euro dabei … Schätze, ich habe einfach darauf gezählt, daß Sie gleich hier und jetzt ein bißchen was investieren, in bar, dann hätte ich zahlen können.« Aber: »›Was, wenn ich Ihnen sagen würde, ich wüßte einen idiotensicheren Weg, wie wir hier rausmarschieren, ohne auch nur einen Penny zu bezahlen? … Hören Sie, es ist ganz einfach. Wir müssen jetzt nur so tun, als hätten wir einen Streit. Und während wir so richtig auf den Putz hauen, springe ich auf und stürme nach draußen. Und Sie dann hinter mir her, als wollten Sie mich zurückholen, klar? Das funktioniert, Claude. Ich hab’s schon mal ausprobiert ... Allerdings war das mit Clizia. Ist wahrscheinlich ein bißchen überzeugender, wenn sich ein Pärchen an die Gurgel geht.‹ – ›Ich werde das jetzt mit meiner Karte bezahlen. Entschuldigung!‹ rufe ich dem Kellner zu.« Doch zu spät: »›So ist das also, der gefällt dir, was?‹ ruft Paul laut und stößt ruckartig seinen Stuhl zurück. ›Ein Junge, Claude! Fast noch ein Kind. Und du machst ihm schöne Augen, direkt vor meiner Nase, als wäre ich gar nicht da.‹ ... Mit einer für Lauscher eines Streits typischen Mischung aus Verlegenheit und Schadenfreude schauen die Gäste zu uns herüber«, das Personal »macht jetzt einen sehr weiten Bogen um uns«, und »ich schiebe meinen Stuhl zurück, gehe mit unsicheren Schritten auf den Kellner zu und biete ihm meine Kreditkarte an. Aber er schreckt zurück, als wäre ich gerade einem Moor entstiegen.« Fast schon am Ausgang, wird Möchtegernzechpreller Paul allerdings von seinem ehemaligen Lektor angesprochen, der ebenfalls im Lokal war und durch den Streit erst aufmerksam geworden ist. Paul, peinlich berührt, schöpft plötzlich neue Hoffnung, wieder zu einem Buchvertrag zu gelangen, und tatsächlich wird er vom Lektor zu einer Soiree eingeladen – wofür natürlich die spontane Schein-Homoehe oder Homo-Scheinehe zwischen Claude und Paul fortgeführt werden muß: »›Und wo haben Sie sich kennengelernt?‹ – ›In einer Sauna‹, sagt Paul. ›Einer Schwulensauna ... Er war gerade aus der französischen Marine entlassen worden. Da hieß er nur Arse de Triomphe. Unsere Blicke trafen sich im Dampf, und schon hatten wir uns verliebt‹«, wie sich heterosexuelle Großschlitzohren das eben so vorstellen. Doch auch Frauen sind auf der Abendveranstaltung vertreten, etwa eine berühmte Kritikerin: »Diese Frau ist böse, Claude. Böse! Ein Autor, den sie verrissen hat, soll ihr ein Päckchen mit Milzbranderregern ins Büro geschickt haben. Als sie es geöffnet hat, sind die Milzbranderreger sofort abgestorben. Sie hat die Erreger getötet, Claude.« Nein, übermäßig subtil ist er nicht, der Schriftsteller Paul, und auch nicht sein Schöpfer Paul Murray. Aber dabei doch recht unterhaltsam.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner