Humorkritik | September 2016

September 2016

Ist das Zeichen eines guten, eines wahren Scherzes nicht, daß er zugleich ein Vorschlag ist, ein Hinweis, eine Idee?
Peter Handke

Nichts für IgNoranten

Wissenschaft gilt dem Laien als eher dröge Angelegenheit. So dürfen sich Forscher, die in der ersten Oktoberwoche einen Anruf aus Stockholm erhalten, zwar auf eine nicht unerhebliche Geldsumme und eine protzige Medaille freuen, dafür müssen sie dann am 10. Dezember aber auch eine stocksteife Nobelpreiszeremonie über sich ergehen lassen, deren Unterhaltsamkeit höchstens noch vom olympischen Turnier im Dressurreiten unterboten wird. Den Glücklicheren unter ihnen winkt allerdings auch eine tragende Rolle bei einer weit vergnüglicheren Veranstaltung: Ende September werden an der altehrwürdigen Harvard-Universität die IgNobelpreise verliehen, die den Gewinnern traditionell – genauer: seit 1991 – von echten Nobelpreisträgern ausgehändigt werden.

Sofern die so Geehrten überhaupt anwesend sind. Schließlich bedeutet »ignoble« soviel wie »schändlich, unwürdig«, und nicht jeder möchte den Preis persönlich entgegennehmen, der, so die Initiatoren der Zeitschrift Annals of Improbable Research, für Leistungen vergeben wird, »die nicht wiederholt werden können oder sollten«. So verzichtete Ufologe Erich von Däniken als erster Preisträger in der Sparte Literatur auf die Entgegennahme, und auch die Manager der vier isländischen Banken, die 2009 den Wirtschafts-IgNobelpreis für den Nachweis erhielten, »daß kleine Geldinstitute sehr schnell in große Geldinstitute umgewandelt werden können, daß dieser Vorgang reversibel ist und ähnliches auch für ganze Volkswirtschaften gilt«, blieben der Veranstaltung fern. Der Ruf des Anti-Nobelpreises hat sich in den vergangenen Jahren allerdings gebessert. Tatsächlich handelt es sich heute bei den meisten Preisträgern um seriöse Forscher mit ungewöhnlichen Entdeckungen oder Erfindungen, über die die Medien inzwischen fast ebenso ausführlich berichten wie über die echten Nobelpreise.

Weniger Beachtung findet hingegen die per Livestream übertragene Verleihungszeremonie. Deren Ablauf ist zwar von der traditionellen »Welcome, Welcome«- bis zur »Goodbye, Goodbye«-Rede, die beide von der emeritierten Psychologieprofessorin Jean Berko Gleason gehalten werden, ähnlich durchritualisiert wie das Nobel-Pendant, das Programm unterscheidet sich aber erheblich: Während es sich in Stockholm nicht empfiehlt, mit Papierfliegern zu werfen, ist dies in der Harvard-Aula ausdrücklich erwünscht, und statt der abgenudeltsten Hits des klassischen Repertoires erwartet das Publikum eine dem jeweiligen Jahresmotto gewidmete Mini-Oper. Auch ausufernde Vorträge sind nicht zu befürchten: Überschreiten die Preisträger bei ihren Dankesreden das Zeitlimit, werden sie von einem kleinen Mädchen mit dem Ruf »Please stop, I’m bored!« gnadenlos niedergeschrien, und die zu den »24/7-Lectures« geladenen Wissenschaftler haben sich an die Regel zu halten, ihr Forschungsgebiet zunächst in 24 Sekunden vorzustellen und das Ganze dann noch einmal in sieben allgemeinverständlichen Worten zusammenzufassen.

Wie es der Zufall will, ist diesmal »Zeit« das Jahresmotto. Deshalb sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die nächsten IgNobelpreise am 22. September verliehen werden; die Zeremonie beginnt um 18 Uhr Ortszeit (0 Uhr MESZ), der Livestream startet zwanzig Minuten früher. Wer nicht so lange wachbleiben will oder kann, findet die Aufzeichnung sowie alle weiteren Informationen unter www.improbable.com/ig/; es gibt also keine Ausrede, auf diese Form der wissenschaftlichen Fortbildung zu verzichten.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg