Humorkritik | September 2016
September 2016
Ist das Zeichen eines guten, eines wahren Scherzes nicht, daß er zugleich ein Vorschlag ist, ein Hinweis, eine Idee?
Peter Handke
Das ewige Leben des Harald Schmidt
Als Stefan Raab das Ende seiner Dauerpräsenz auf den Bildschirmen verkündete, konnten Zeitungen, die zwischen einem Amt und einem Comedian nicht unterscheiden können, allen Ernstes von einem »Rücktritt« sprechen. Harald Schmidt dagegen ließ seine Show einst ganz sanft verscheiden. Aber kann eine Show wirklich tot sein, deren tragende Figur noch lebt? Schmidt tritt jetzt häufiger einmal als Gesprächsgast auf, in der Universität und in Theatern oder in regionalen Programmen. Die im Netz verfügbaren Videos seit 2014 haben schöne Gemeinsamkeiten: Schmidt tut so, als ob er gemäß der Totenglöckchen-Frage »Was macht eigentlich …?« über seinen Alltag als Familienvater berichten würde, bringt aber vor allem Standards an wie seine angeblichen Störungen des Straßenverkehrs durch absichtlich langsames Fahren; legt eine völlig irrationale Verehrung für den inzwischen verblichenen Wolfgang Rademann an den Tag und schafft es dabei, das »ZDF-Traumschiff« als seinen neuen Lebensmittelpunkt auszugeben; und ahmt in alter Brillanz die unterkomplexen Gesichtsausdrücke seiner letzten Zuschauer auf Sky nach. Meine Lieblingsstelle ist, wenn er in einem »SWF Uni-Talk« in der Mainzer Universität auf die Bemerkung des Fragestellers Fritz Frey: »Er hat gerade einen Schatten im Gesicht« in gespielter Demut heuchelt: »Ich hatte soviel Licht in meinem Job.« Die Moderatoren können nur noch lachen und nach dem Stichwort nicht mehr weiter stören.
Genau hier wiederholt sich das Prinzip der Harald-Schmidt-Show: Schmidt brauchte ja immer einen Sidekick, vom genialen Herbert Feuerstein über den imaginären »Horst« in der frühen Show auf Sat.1 (der aber nicht funktionierte); von Manuel Andrack, der desto besser war, je unspektakulärer er agierte, bis hin zum todbringenden Oliver Pocher. Jetzt aber, so meine These, sind die jeweiligen Gesprächspartner die Sidekicks. Diese kann Harald Schmidt in reiner Selbstbezüglichkeit als Stichwortgeber für seine Pointen nutzen. Schmidt ist ewiger Gast in seiner eigenen Show. Und dem Grimmen Schnitter ist endgültig seine Sense genommen.