Humorkritik | September 2016
September 2016
Ist das Zeichen eines guten, eines wahren Scherzes nicht, daß er zugleich ein Vorschlag ist, ein Hinweis, eine Idee?
Peter Handke

Dinosaurier
Selbst wer kein ausgewiesener Comicspezialist, kein leidenschaftlicher Comicliebhaber ist, wird sich seine Gedanken machen, wenn er durch die Ausstellung geht, die in diesem Sommer unter dem Titel »Pioniere des Comic« in Frankfurt am Main gezeigt wird (Schirn Kunsthalle, bis 18. September). Sechs Comiczeichner werden dort ausführlich vorgestellt, die allesamt für amerikanische Zeitungen gearbeitet haben; ihre ersten Strips erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts.
Wenn Kunstgattungen, die lange als unwürdig galten, in Museen präsentiert werden, werde ich mißtrauisch – nicht jeder Gattung bekommt das gut. Die ambitionierten Comics von Lyonel Feininger vertragen es indes ebenso wie die des erstaunlichen Charles Forbell, des rätselhaften One-Hit-Wonders des Genres, der in seinem Leben nur achtzehn Comic-Seiten gefüllt hat. Im Gegensatz dazu stehen Routiniers wie George Herriman, Cliff Sterrett oder Frank O. King, der in geradezu gotischer Pflichterfüllung vierzig Jahre lang jeden Tag das Leben in »Gasoline Alley« abbildete.
Jede Kunstform braucht in ihren Anfängen wohl ein Genie, um sie in Schwung zu bringen. Cervantes gilt mit »Don Quijote« als Begründer des modernen europäischen Romans, und Jan van Eyck ist vielleicht nicht der Erfinder der Ölmalerei, aber deren realistischer Großmeister, der die Meßlatte für alle Nachfolger schwindelerregend hoch gelegt hat, war er mit Sicherheit. Van Eyck hat übrigens eine »Verkündigung« gemalt, die ein typisches Comicelement enthält: In fein ziselierten Goldbuchstaben spricht der Erzengel Gabriel zu Maria: »AVE GRA. PLENA« (Gegrüßet seist du voll der Gnaden). Und Maria antwortet bescheiden: »ECCE ANCILLA DEI« (Sieh die Magd Gottes). Daß diese Worte an einen Höheren gerichtet sind, sieht man daran, daß sie auf dem Kopf stehen. Gott kann sie somit mühelos lesen. Und mit dieser kleinen Abschweifung sind wir auch schon bei Comicgott Winsor McCay angelangt: Wie vor ihm Wilhelm Busch hat McCay alle Stile durchprobiert, die später Furore machten, also Expressionismus, Fauvismus, Kubismus, Surrealismus, Tachismus, Kartoffelmus etc. In einem Film, der die Frankfurter Ausstellung eröffnet, sieht man den Zeichner bei der Arbeit, später dann deren Resultat, u.a. McCays berühmtesten Trickfilm »Gertie the Dinosaur« von 1914.
Dies und alles weitere findet sich im Ausstellungkatalog. Was haben Sie denn gedacht, woher ich so viel weiß?