Humorkritik | Mai 2016

Mai 2016

»Man verzeihe mir, daß ich im flipprigen Tone eine Streitfrage behandle, von deren Lösung das Wohl Englands und daher vielleicht mittelbar das Wohl der Welt abhängt. Aber eben je wichtiger ein Gegenstand ist, desto lustiger muß man ihn behandeln. Das wissen die Engländer, und daher bietet ihr Parlament auch ein heiteres Schauspiel des unbefangensten Witzes und der witzigsten Unbefangenheit, bei den ernstesten Debatten.«
Heinrich Heine, »Englische Fragmente«

Für mehr als getrockneten Sellerie

Wer bei der Suchmaschine seiner Wahl die Stichwörter »Sport« plus »Lachen« oder »Komik« bzw. »Humor« eingibt, findet nicht viel. Möglicherweise sind, Fußball und evtl. Golf und Schach ausgenommen, Witze hier Mangelware, aber es gibt sie seit bald 2000 Jahren. Die spätantike Sammlung »Philogelos« (»Der Lachfreund«) kennt z.B. diesen: »Ein Scherzbold sah beim Wettkampf einen langsamen Läufer und sagte: ›Ich weiß, was der Mann da braucht.‹ Der Kampfrichter fragte: ›Was denn?‹ Darauf der Scherzbold: ›Er braucht ein Pferd; anders kann er seine Konkurrenten nicht einholen.‹« Gleich mehrere Witze handeln vom Boxen, so der hier (der eigentlich ein Apophthegma, ein Sinnspruch ist): »Ein feiger Boxer, auf den die Hiebe seines Gegners nur so einprasselten, schrie: ›Ich bitte dich! Nicht alle auf einmal!‹«

In der Wirklichkeit ging es weniger witzig zu. Keinesfalls für die Konkurrenten, vielleicht für die Zeitgenossen und sicher erst für die Nachgeborenen lustig ist etwa der Fall des römischen Kaisers Nero, der die Olympischen Spiele extra auf 67 n. Chr. vorverlegen ließ, um am Wagenrennen teilzunehmen – und aus dem Sulky fiel, von Helfern wieder hinaufgehoben wurde, es dennoch nicht ins Ziel schaffte und gleichwohl zum Sieger erklärt wurde: Denn wäre er ins Ziel gekommen, hätte er gewonnen, so die Entscheidung der Kampfrichter.

Historiker wissen, daß der antike Sport brutal war. Schließlich bestand der Preis nicht bloß aus einem Olivenkranz (Olympia), einem Fichtenkranz (Korinth) oder einem Kranz aus getrocknetem Sellerie (Nemea), sondern auch aus Ruhm und Reichtum. Kleomedes von Astypala tötete im olympischen Boxring seinen Gegner Ikkos, indem er ihm den Brustkorb aufriß; Damoxenos stieß mit den ausgestreckten Fingern seinem Kontrahenten Kreugas so tief (und tödlich) in den Unterleib, daß ihm die Eingeweide herausquollen. Sinn fürs Makabre muß man als Leser schon mitbringen. Unbedingt komisch aber sind die Wundermärchen, die sich die Griechen von den Ringern erzählten: Milon von Kroton soll ein Rind an einem einzigen Tag aufgegessen haben und imstande gewesen sein, ein um seinen Kopf festgezogenes Band zu sprengen, indem er die Schläfenvenen anschwellen ließ. Glaukos von Karystos soll bereits als Knabe eine verbogene Pflugschar mit der Faust gerade gehämmert haben. Ähnlich Sagenhaftes leisteten die Helden des Pankration, einer Kombination aus Ringen und Faustkampf: Polydamas von Skotoussa erwürgte angeblich einen Löwen mit den Händen, Theagenes von Thasos hielt einen rasenden Wagen an, indem er die Räder packte. Manche Sportler wurden von ihrer Heimat-Polis nicht nur beschenkt, sondern gleich zu Gottheiten erhoben; Theagenes und Polydamas sollen noch nach ihrem Tod Kranke geheilt haben. Wie begeisterungsfähig die Griechen auch über 2000 Jahre später waren, zeigte sich 1896, als ihr Landsmann Spyridon Louis den Marathonlauf gewann. Ein Friseur erbot sich, ihn für den Rest seines Lebens kostenlos zu rasieren; ein Hutmacher offerierte ihm Hüte, ein Schneider Unterwäsche und Socken.

Sportbegeistert, wie sie waren, erfanden die alten Griechen auch neue Wettbewerbe. In Olympia wurde 396 v. Chr. ein Wettstreit für Trompeter organisiert, im Athen des 4. Jh. v. Chr. entschied ein gewisser Bacchios alle Wettkämpfe im Töpfern für sich, und im großgriechischen Tarent kämpften im 6. Jh. v. Chr. die Mädchen um den Sieg im Wollekämmen.

Und welchen Sport treiben Sie, liebe Leser?

  

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Briefe an die Leser

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
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