Humorkritik | Juni 2016

Juni 2016

»Obwohl es nicht den Anschein hatte, hätte er gerade jetzt Zuspruch nötig gehabt, aber nun schienen die Herren ermüdet, Rabensteiner sah rechts aus dem Wagen, Kullich links, und nur Kaminer stand mit seinem Grinsen zur Verfügung, über das einen Spaß zu machen leider die Menschlichkeit verbot.«
Franz Kafka, »Der Prozeß«

Schmäh von gestern

Über »Kunst und Elend der Schmährede« haben sich vor fünfzig Jahren Autoren der »Gruppe 47« ihre Gedanken gemacht und diesen in Heft 20/1966 der Zeitschrift Sprache im technischen Zeitalter (Herausgeber: Walter Höllerer) gut achtzig Seiten lang Ausdruck gegeben. Anlaß war damals ein Zangenangriff auf die ganze Gruppe: Der junge Peter Handke hatte ihren Mitgliedern pauschal »Beschreibungsimpotenz« vorgeworfen, der alte Robert Neumann sogar Nepotismus, Korruption und Zweitklassigkeit. Unterstützung bekam Neumann vom kaum jüngeren Hans Erich Nossack, der »eine synthetische Literatur« monierte. Die Front der Verteidiger war breit und reichte von Fritz J. Raddatz bis zu Höllerer selbst, von Günter Grass bis zu Reinhard Lettau.

Der Staub der Vergangenheit hat sich längst über diese Debatte gelegt, und der Zauber einer untergegangenen Kultur weht mich aus vielen Zeilen an. Wie artig hier gestritten, wie von Pascal bis Tucholsky die Tradition beschworen wird! Wie schon das Wort »Fürzchen« (Neumann) tantenhaftes Entsetzen verbreitet! Was, fragte ich mich beim Lesen, hätten diese Autoren wohl zur Verwendung von Sprache im digitalen Zeitalter gesagt, konkret: zum vielzitierten Text des Schmähgedichtes von Jan Böhmermann (ZDF)?

Ich kann dazu, nachdem ich mich letzthin eher grundsätzlich, nicht inhaltlich geäußert habe, als Nichtmitglied der »Gruppe 47« nur Folgendes festhalten: In einem Dutzend Verse sind zwei überflüssig. Nämlich die Zeilen acht und neun, die sich auf »Ziegen ficken«, bzw. »Kinderpornos schauen« reimen, also:

(…) und Minderheiten unterdrücken (…)

bzw.:

(…) Kurden treten, Christen hauen (…)

So etwas gehört sich einfach nicht in einem guten Schmähgedicht. Jedenfalls nicht, wenn man Karl Kraus folgt, der schon von der polemischen Glosse den »gröbsten Unfug« verlangt, »dessen die Überschreitung der Bürgersitte fähig ist«.

Nun werden Sie also bitte nicht sachlich, Herr Böhmermann.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella