Humorkritik | Juni 2016

Juni 2016

»Obwohl es nicht den Anschein hatte, hätte er gerade jetzt Zuspruch nötig gehabt, aber nun schienen die Herren ermüdet, Rabensteiner sah rechts aus dem Wagen, Kullich links, und nur Kaminer stand mit seinem Grinsen zur Verfügung, über das einen Spaß zu machen leider die Menschlichkeit verbot.«
Franz Kafka, »Der Prozeß«

Das Rudel des Todes

Martin Rütter, geb. 1970 in Duisburg, ist ein Hundetrainer, Tierpsychologe und deshalb in fataler Konsequenz auch: Bühnenkünstler. Vielversprechende Ausschnitte seines Programms sah ich kürzlich in einem TV-Spot, sofort bestellte ich mir Rütters Live-DVD »Hund-Deutsch, Deutsch-Hund«. Achtung, ich gebe nur wieder: Rütter betritt, angekündigt als »Dogfather of Hundeerziehung«, die Bühne des ausverkauften Berliner Tempodroms und ruft mehrmals »Aus!«, um sich für den Applaus zu bedanken. Er begrüßt sein »Berliner Rudel«, gemeint ist das Publikum: In den Gesichtern viel Akne, sehr viele Piercings, an den Leibern einige Westen in Tarnfarben, Hunde sind keine anwesend. Rütter stellt fest, es gebe »normale Menschen« und »Hundemenschen, wie hier heute abend«. Das Publikum stimmt dieser für die nächsten zwei Stunden unbedingt notwendigen Prämisse begeistert zu. Jetzt legt Rütter richtig los: Er diagnostiziert, daß »die Vermenschlichung der Hunde« durch die Halter zunimmt, manche würden gar mit ihren Tieren reden und ihnen Namen wie »Chantal« geben. Der Saal wiehert, nein: bellt. Rütter beleuchtet die »Thematik«, daß Hundehalter ihre Tiere viel besser behandeln als ihre Mitmenschen, aus vielen »spannenden Perspektiven«: Wieder muß Rütters Rudel zustimmen, fühlt sich ertappt, lacht und freut sich sehr über die eigene Verdorbenheit. Immer, wenn Rütter mal etwas »verhaltensbiologisch betrachtet«, sein sackdummes Publikum also den Faden zu verlieren droht, lockert er gekonnt auf: wirft ein Bällchen in die Menge oder fragt die menschgewordenen Tränenlach-Emojis, welcher Rasse ihr jeweiliger Hund entstamme. Rütter: »Irre!« – »Is’ ja nicht zu glauben!« – »Vollkommen irre!« – »Is’ ja wohl logisch!« Irgendwann nachdem er erklärt hat, was ein Ochsenziemer ist, fragt Rütter geistesgegenwärtig, warum manche »Frauchen« Hundehalsband und -leine wohl farblich aufeinander abstimmen. Das Publikum lacht sich fast tot, ist und bleibt aber ratlos.

Rütter, der große Verführer, hat leichtes Spiel: Die Psyche seines Publikums ist nicht gerade komplex, der auf wenige Reizwörter konditionierte Sauhaufen macht artig Sitz. Sagt Rütter »Chihuahua« und »Dobermann« in einem Satz, pinkelt sich das ganze Tempodrom mangels Bäumen direkt in die mit fünf Knietaschen ausgestatteten Outdoor-Hosen. Kämen anstelle der Frauchen und Herrchen deren Hunde zu seinen Auftritten, wäre der Tierpsychologe wohl deutlich mehr gefordert. So aber bleibt nur zu hoffen, daß Rütter selbst geistig »im grünen Bereich« bleibt und nicht eines Tages auf die Idee kommt, seinen Hundemenschen ein schrilles »Faß!« zuzurufen – weil dieses seelenlose Rudel dann sofort erbarmungslos Jagd auf alle Katzenfreunde oder Haustierverweigerer machen würde.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Etwas unklar, mallorquinische Demonstrant/innen,

war uns, warum wir Euch bei den Demos gegen den Massentourismus immer wieder palästinensische Flaggen schwenken sehen. Wir haben lange darüber nachgedacht, welchen logischen Zusammenhang es zwischen dem Nahostkonflikt und Eurem Anliegen geben könnte, bis es uns einfiel: Na klar, Ihr macht Euch sicherlich stark für eine Zwei-Staaten-Lösung, bei der der S’Arenal-Streifen und das West-Malleland abgeteilt werden und der Rest der Insel Euch gehört.

Drücken die diplomatischen Daumen: Eure Friedenstauben von Titanic

 Drama, Reinhold Messner!

»Ich stand am Abgrund«, beklagten Sie sich in einem Interview mit der Apotheken-Umschau über den anhaltenden Erbschaftsstreit in Ihrer Familie. Nachdem Sie den vier Kindern bereits vor Ihrem Tod testamentarisch einen Großteil des Messner’schen Vermögens überlassen hätten, sei es nur noch darum gegangen, wer mehr bekommen habe, und daran sei Ihre Familie letztlich zerbrochen. Ach, kommen Sie, Messner! Dass Sie den Mitgliedern Ihres Clans je nach Grad der väterlichen Zuneigung tatsächlich unterschiedlich große Geldbündel zugeworfen und dann dabei zugesehen haben, wie sich Ihr Nachwuchs um die Differenz kloppt, war für Sie alten Adrenalinjunkie doch bestimmt ähnlich vergnüglich wie eine Achttausenderbesteigung!

Sieht das sogar vom Fuße des Bergs der Erkenntnis aus: Titanic

 Dumm gelaufen, Kylian Mbappé!

Ihnen wurde ein BMW i7 M70 xDrive »überlassen« (Spiegel), jedoch haben Sie gar keinen Führerschein, haha! Wer soll den geschenkten Gaul nun lenken, rätselte daraufhin die Presse: »Mbappé von Real Madrid: Darum bleibt sein Luxus-Auto in der Garage« (msn.com).

Tja, da kann man nur hoffen, dass von Ihren 72 Millionen Euro Jahresgehalt ein paar Cents übrig bleiben, um einen Chauffeur einzustellen.

Aber bitte vorher alles genau durchrechnen!

Mahnt Titanic

 Puh, »Frankfurter Rundschau«!

»Während im Süden Europas weiter enorme Hitze herrscht, sorgt ein kurzweiliges Tief in Deutschland für eine Abkühlung.« Es bleibt aber dabei: Die Tiefs sorgen für Abkühlung, und für die Kurzweil sorgen Deine Sprachkapriolen. Nicht durcheinanderbringen!

Warm grüßt Titanic

 Genau so war es, lieber »Tagesspiegel«!

»Die Trauer um die Mauertoten erinnert uns daran, was es bedeutet, Hoffnung, Mut und letztlich das eigene Leben für ein Leben in Freiheit zu opfern«, mahnst Du am Jahrestag des Mauerbaus. Ja, wer kennt sie nicht, die ganzen Menschen, die die Hoffnung auf ein besseres Leben und den Mut, ihr Leben zu riskieren, längst aufgegeben haben, um dann an der Mauer zu sterben, wiederaufzuerstehen und ein gutes Leben im freien Westen zu führen? Mögen sie und Deine Formulierungsgabe in Frieden ruhen, Tagesspiegel!

Herzliches Beileid schickt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hä?

Demenz kennt kein Alter.

Moppel Wehnemann

 Steinzeitmythen

Fred Feuerstein hat nie im Steinbruch gearbeitet, er war Rhetoriker! Er hat vor 10 000 Jahren zum Beispiel den Whataboutism erfunden und zu seiner Losung erhoben: »Ja, aber … aber du!«

Alexander Grupe

 Treehuggers

Bei aller Liebe zum Veganismus: Plant Parenthood geht mir zu weit.

Sebastian Maschuw

 Unwirtliche Orte …

… sind die ohne Kneipe.

Günter Flott

 Ach, übrigens,

der Typ, mit dem ich in jedem Gespräch alle drei Minuten für mindestens fünf Minuten zu einem Nebenthema abschweife: Ich glaube, wir sind jetzt exkursiv miteinander.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

  • 27.08.: Bernd Eilert schreibt in der FAZ über den französischen Maler Marcel Bascoulard.
  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

  • 29.01.:

    Ein Nachruf auf Anna Poth von Christian Y. Schmidt im ND.

  • 13.04.:

    HR2 Kultur über eine TITANIC-Lesung mit Katinka Buddenkotte im Club Voltaire.

Titanic unterwegs
10.09.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Miriam Wurster
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer