Humorkritik | Oktober 2015

Oktober 2015

»Nach unseren bisherigen Erkenntnissen ist das Lachen bei Menschenaffen ehrlich. Vermutlich fehlen ihnen die neuronalen Voraussetzungen zum gestellten Lachen.«
Univ. Prof. Dr. Elke Zimmermann

Aus dem Innern der Frau

Zwei Frauen sitzen beim Casting für einen Film, den der Produzent als »2Girls1Cup« vorstellt. (Ich hoffe, Sie haben davon gehört, ihn aber nicht gesehen.) Eine ist laut Produzent »Profi« und braucht keine Anweisungen, die andere hat noch ein paar Fragen: »Will we be using some sort of CGI effect or, like, stage chocolate?« – »No, you will be eating a full cup of shit, no fancy special effects here. We’re indie, so it’s super low budg.« – »Okay. But is this going to be an art film, maybe winding up in the MoMa?« – »No!« – »But it’s commentary, kind of meta? Is it like the scene with the plastic bag in ›American Beauty‹?« – »I haven’t seen that film.« – »It’s the image of a plastic bag whirling around…« – »Is it a bag of shit?« – »No.« – »Then: no!« Oder: Eine Frau zeigt einer Freundin einen Porno aus Frauenperspektive. Man sieht erst ein schweißiges Männergesicht, den stupid vor- und zurückstoßenden haarigen Oberkörper, dann wackelnd ein Kissen und den Blick auf die Weckeruhr, zum Schluß einen müden, sich abwendenden Kerl und eine Fernbedienung in der Frauenhand. Die Freundin fragt: »Hast du mir das nur gezeigt, damit ich sehe, wie eklig Männer sind, und wir miteinander rummachen?« Worauf der Lesbenspaß beginnt und sich das Ganze – über ein Fadeout auf einen vor dem Laptop sitzenden Mann – wiederum als klassischer Männerporno entpuppt.

Mit cleverem Schweinkram wie diesem hat es Amy Schumer in den drei Staffeln ihrer Sketchshow »Inside Amy Schumer« zur wohl interessantesten – wie sage ich es gender-neutral? – Komikerscheinung in den USA gebracht. Spräche ich von Komikerin, schwänge vermutlich bei dem einen oder anderen gleich die Relativierung mit: »Ja, Frauenhumor…« Dabei produzieren Komikerinnen, zumindest die guten, sowenig »Frauenhumor«, wie Frauen, die gegen Bälle treten, »Frauenfußball« spielen. Und der Doppelstandard, nicht zuletzt der im Komikgeschäft, ist eines der zentralen Themen Schumers (besonders gut behandelt in einem Sketch, in dem die »Seinfeld«-Aktrice Julia Louis-Dreyfus gemeinsam mit Tina Fey und Patricia Arquette in einer Zeremonie ihren »last fuckable day« feiert). Denn auch wenn es immer wieder Komikerinnen gab, die mit Vulgarität spielen – u.a. Joan Rivers oder Sarah Silverman –, so bleibt es doch zumeist Männern vorbehalten, scham- und zwanglos die Erfolge und Demütigungen ihrer Sexualität komisch auszustellen. Amy Schumer reklamiert dieses Recht auch für Frauen. Das läßt die Sache manchmal überraschender, weniger abgenutzt erscheinen, aber gelegentlich auch bemühter, da es noch Freiheiten und Selbstverständlichkeiten zu etablieren gilt.

Hierzulande ist Schumer am ehesten durch die von ihr geschriebene, autobiographisch inspirierte romantische Kinokomödie »Trainwreck« aufgefallen (auf deutsch: »Dating Queen«). Darin schlägt sie sich für das Genre mehr als passabel, kommt aber nicht über dessen Konventionen hinaus. Weswegen ich eher zu »Inside Amy Schumer« rate, um sie kennenzulernen. Neben den Sketchen gibt es dort auch Ausschnitte aus Schumers Stand-up-Programm, Straßeninterviews mit Passanten und tiefergehende Gespräche (»Amy goes deep«) mit nicht alltäglichen Personen, etwa einer 106jährigen, einer Transsexuellen oder einem Mann mit einem Riesenpenis, die zumeist solide zu den Kurzfilmchen überleiten. Wie bei Sketchshows üblich, finden sich hier einige Hänger – aber eben auch genügend Höhepunkte. Die ich, alter, haariger Mann, der ich bin, durch weiteres Nacherzählen nicht vermiesen möchte. Denn es lohnt sich, diese selbst zu erreichen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella