Humorkritik | Oktober 2015

Oktober 2015

»Nach unseren bisherigen Erkenntnissen ist das Lachen bei Menschenaffen ehrlich. Vermutlich fehlen ihnen die neuronalen Voraussetzungen zum gestellten Lachen.«
Univ. Prof. Dr. Elke Zimmermann

La comédie française

»Willkommen bei den Sch’tis« (2008), »Ziemlich beste Freunde« (2011), »Monsieur Claude und seine Töchter« (2014), das sind die deutschen Titel der erfolgreichsten französischen Filmkomödien aus den letzten Jahren. Daß die Besucherzahlen in Frankreich im zweistelligen Millionenbereich lagen, ist eindrucksvoll, doch nicht überraschend. Auch in Deutschland sind zwischen 2,3 Millionen (»Sch’tis«) und neun Millionen (»Freunde«) ins Kino gegangen – das ist bemerkenswert. Die Hauptdarsteller Dany Boon und Kad Merad, François Cluzet und Omar Sy, waren – anders als früher Louis de Funès oder Pierre Richard – in Deutschland keine Stars, Christian Clavier (»Monsieur Claude«) ist es auch nicht.

An der Machart dieser Filme kann es nicht liegen, alle sind konventionell produziert und sehen nicht besser aus als der durchschnittliche deutsche Fernsehfilm. Strukturell gibt es nichts Neues: Kulturelle Gegensätze, die sich aus Herkunft, Generation und /oder sozialer Stellung ergeben. Die Verhältnisse sind nicht ganz so vertraut, zumindest dem deutschen Zuschauer nicht: Die Sch’tis etwa wohnen im Département Nord-Pas-de-Calais, sprechen einen zischenden Dialekt und sind den Landsleuten im Süden angeblich nur aus regenreichen Legenden bekannt. Die vier Töchter von Monsieur Claude heiraten sämtlich Männer aus subalternen Gesellschaftsgruppen; das ganze Pariser Spektrum – ein Araber, ein Jude, ein Chinese und ein Ivorer – ist vertreten.

Die ziemlich besten Freunde kommen aus denkbar unterschiedlichen Verhältnissen und bilden gleich vierfach ein Gegensatzpaar: arm /reich, jung /alt, schwarz /weiß und nicht zuletzt gesund /krank. Selbst für einen Buddy-Film ist das zu viel. Es sticht aber das Authentizitätsargument: Alles basiert auf einer wahren Geschichte, und damit mogeln sich die Autoren über alle Unwahrscheinlichkeiten hinweg bis zum bittersüßen Ende.

Die »Sch’tis« waren mir von den drei Komödien die liebste: Ihr Autor, Regisseur und Darsteller Dany Boon behauptet etwas, von dem er weiß, daß es das so gar nicht gibt, und zwar auf eine märchenhafte Art, die uns nicht zwingt, ernsthaft an diesen Süd-Nord-Konflikt zu glauben. Weshalb ich geneigt war, ihm das operettenhafte Happy End zu verzeihen.

»Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu?« – bei uns »Monsieur Claude« – ist von den drei Filmen der schwächste. Ergebnis: zwölf Millionen Zuschauer in Frankreich, vier Millionen in Deutschland. Das Vierfache von dem, was brave deutsche Komödien wie »Wir sind die Neuen« oder »Frau Müller muß weg« erreichen. Offensichtlich ist der Ruf der französischen Filmkomödie inzwischen so gut, daß sie ihr Publikum, das sich von Hollywood scheint’s unterfordert fühlt, jedes Mal wieder ins Kino kriegt: Honig für den Kopf. Derzeit trifft in Deutschland tatsächlich nur Til Schweiger diesen speziellen Breitgeschmack, der sich nach Harmonie sehnt und alle möglichen unglaubwürdigen Wendungen in Kauf nimmt, wenn nur eine heile Welt dabei herausschaut.

Die französische Expertin Pauline Escande-Gauquié sieht in dieser durchsichtigen Heuchelei einen Triumph des »Humanismus«. Daß der ehrenwerte Begriff in Frankreich so weit heruntergekommen ist, wußte ich nicht. Mir scheint – zumindest im Fall des »Monsieur Claude« – eine vage Sehnsucht nach bürgerlichen Werten und Mustern dahinterzustecken, die von den meisten deutschen Filmen nicht gestillt wird. Bei uns wird der Bürger eher ironisiert, als Spießer bloßgestellt und verächtlich gemacht. Spätes Erbe der Umwertung von 1968? Wenn ich mir die deutsche Realität zu Vergleichszwecken anschaue, ist mir das unbegreiflich, denn auch hier entfaltet die Bourgeoisie längst wieder ihren gar nicht so diskreten Charme.

Aber ich begreife ja vieles nicht: Warum etwa würde sich umgekehrt kein Franzose freiwillig eine Komödie aus Deutschland ansehen? Oder ist es möglich, daß man in Paris und Umgebung den »Untergang« für eine gehalten hat? Ich mußte auch lachen, vor allem über das Foto von Bruno Ganz auf dem Nachttisch von Eva Braun. Ob aber Hitler unseren Ruf als Komikproduzenten auf Dauer retten kann, das möchte ich bezweifeln.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick