Humorkritik | August 2015

August 2015

»Der Scherz ist unerschöpflich, nicht der Ernst.«
Jean Paul

Hucklebertas im Wald

Coming-of-Age … Coming-of-Age … da war doch noch was, da kam mir doch kürzlich noch etwas Ähnliches unter. War es die Geschichte von Huckleberry Finn? Die von Holden Caulfield? Von Tschick? Nein, nein, nein. Aber kein Wunder, daß mir zuerst diese drei Knaben einfallen, scheint es doch oft so, als sei das Abenteuer des Erwachsenwerdens nur männlichen Helden vergönnt; als kämen die literarischen Rollenvorbilder für Mädchen kaum über Pippi Langstrumpf hinaus. Jetzt hab ich’s aber wieder: Kirsten Fuchs, »Mädchenmeute« (Rowohlt Berlin)! Meute? Ganz recht. Denn Fuchs schickt gleich eine ganze Gruppe von Mädchen auf Abenteuerreise: Sieben Hucklebertas, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, türmen aus einem schlampig geplanten Survival-Zeltlager, verstecken sich in einem halbverfallenen Stolleneingang im Erzgebirge und ziehen dort ihr ganz eigenes Überlebenscamp auf, müssen sich als Gruppe finden und als Individuen bestehen. Kurz, sie holen mit vereinten Kräften nach, was in der Abenteuerliteratur lange den Jungs vorbehalten blieb (wenngleich sich bei der Szene, in der die Mädchen einen toten Hund ausweiden, womöglich selbst Huckleberry Finn in den Mississippi übergeben hätte).

Das alles könnte unerträglich emanzipationspädagogisch rüberkommen, aber da ist zum Glück Kirsten Fuchs’ Witz sowie ihr feines Gespür für Sprache und Situationen. Als Ich-Erzählerin hat sie die schlaksige, extrem schüchterne Fünfzehnjährige Charlotte Nowak auserkoren. So still und gehemmt diese nach außen hin ist, so wach und klug beobachtet sie: »Ich hatte immer gedacht, ein Wald wäre zum Ansehen. Wie ein Sonnenuntergang. Man setzte sich davor oder im Falle des Waldes mitten hinein, und dann indianerte man ein paar Weisheiten vor sich hin. Der Kreislauf. Die Tiere. Die Gegensätze. Die Stille. Der Frieden. Der Wald war für uns ein Supermarkt. Pflücken kostet drei Kratzer, Sammeln kostet Schweiß. Der Wald war ein Gefährte. Das achte Mädchen.« In der Tat hat Fuchs den Wald als eine der dominantesten Gestalten gezeichnet, die Passagen dort sind die eindringlichsten des Romans, und zugleich wurde Wald selten so komisch durchdrungen wie von Charlotte Nowaks Blick, deren Eingebungen zünden und oft als Bonmots bestehen können: »Ich bilde sie mir nur ein, weil die Angst ein Filmvorführer ist, der gern Gruselfilme zeigt und dann selber aus dem Kino rennt.« Und selbst, wenn in »Mädchenmeute« da und dort die Sprachspiele zu sehr klingeln, so tun sie das stets im Rhythmus des Romans. Dies sagt und schwört Ihnen Ihr Hans Mentz. Und der ist bekanntlich längst kein dreizehnjähriger Backfisch mehr, sondern ein bärtiger Greis, der weiß, wovon er murmelt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg