Humorkritik | August 2015

August 2015

»Der Scherz ist unerschöpflich, nicht der Ernst.«
Jean Paul

Sushi und Strolche

Der aus Essen stammende und in Toronto lebende Autor Marc Degens besitzt zweifellos Sinn für Humor. Erinnert sei an seine schöne, von ihm in der FAZ-Kolumne »Unsere Popmoderne« umgesetzte Idee, Zusammenfassungen von Büchern zu veröffentlichen, die es gar nicht gibt (die man aber natürlich, nach dem Lesen der Abstracts, tatsächlich gerne im Buchhandel sähe). Auch seinen Schelmenroman »Hier keine Kunst« möchte ich noch einmal empfehlen.

Degens’ neuer Roman »Fuckin Sushi« (DuMont) erzählt die Geschichte einer Schülerband gleichen Namens aus Bonn. Deren Bassist (und Ich-Erzähler) Niels fordert von Musikstücken vor allem eines: eine Mindestlänge. »Unter sieben Minuten passiert bei mir gar nichts. Kurze Musik erreicht mich einfach nicht.« Niels und sein Freund René teilen – neben Vornamen, die gern falsch geschrieben werden – ihre Musikleidenschaft sowie ein Faible für herausfordernde gesellschaftliche Entwürfe, darunter die Idee, das Rentensystem vom Kopf auf die Füße zu stellen: »›Man muß einfach nur die Reihenfolge tauschen. Erst Schule, dann Rente, dann Arbeit … Wer länger lebt, muß auch länger arbeiten‹, erklärte René. ›Das ist nur gerecht.‹« Niels, René und ihr Freund Lloyd gründen also die Band, und schon bald stößt mit Nino eine Keyboarderin hinzu, von der Niels bezaubert ist: »Ihr Musikgeschmack paßte perfekt zu unserem. Nino hörte gern Slayer, Motörhead, Anthrax und Megadeth, die Großväter des Thrash Metals. Außerdem liebte sie alte italienische Schlager. ›Wegen der Texte‹, erklärte sie mir. ›Da geht es um Geldentwertung, sozialen Wohnungsbau und neue Beziehungsmodelle.‹« Wahrlich, ein Mädchen zum Verlieben. Durch ein Youtubevideo erlangen die jungen Strolche über Nacht lokale Berühmtheit – doch damit fangen die wirklichen Probleme erst an.

Marc Degens, der in Bands wie »Die blutjungen Dilettanten« und »Superschiff« gespielt hat, hat mit »Fuckin Sushi« eine kurzweilige, melancholische und gar nicht kitschige Coming-of-Age-Story geschaffen. »Die Arbeit an dem Roman wurde durch ein Stipendium der Kunststiftung NRW gefördert«, erfährt man zu Beginn des Buches. Und ist beruhigt, daß auch die halbblinde deutsche Literaturförderung mal ein unterhaltsames Korn findet.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt