Humorkritik | Juli 2014

Juli 2014

Endlich alles wurscht

Joachim Lottmanns Buch »Endlich Kokain«, in dem ein krankhaft dicker Ex-Journalist mittels Koks-Therapie sein Übergewicht verliert und eine steile Karriere im Kulturbetrieb gewinnt, macht es mir nicht leicht. Daß Lottmann den Vornamen der Monroe »Marylin« schreibt, Edward Snowden »Snowdon«, Michel Friedman »Friedmann« und Dirk Stermann »Sterman«, das seien, sagt man mir von berufener Seite, keine Fehler, sondern komisch gemeinte Abqualifizierungen: der Tratsch, den Lottmann über die Genannten verbreitet, sei so belanglos, daß es sich nicht einmal lohne, die Namen richtig zu schreiben.

Gut: Witz verstanden. Etwas mehr plage ich mich damit, den Sinn der komplexeren Schnitzer zu entschlüsseln: Ein schwarzer Franzose ist plötzlich ein »Afrodeutscher«, »Werther« ein Theaterstück, »Beisl« angeblich »der österreichische Ausdruck für Gasthof« (zutreffender wäre: »Kneipe«), und ein »Außenminister und Vizekanzler« verwandelt sich auf der nächsten Seite in einen »Oppositionsführer«. Sind das auch Scherze? Wenn ja, wogegen richten sie sich? Gegen das Allzugenaunehmen? Soll hier meine Aufmerksamkeit geprüft werden, oder sind diese Schlampereien kleine Signale, daß es sich beim Gelesenen um Fiktion handelt? Und: ist das lustig – oder in seiner Wurschtigkeit bloß ärgerlich?

Wenn Lottmann an anderer Stelle übergenau ist und brav Dinge referiert, die geschätzte 102 Prozent seiner Leser bereits wissen (»Die ersten belastbaren Informationen über die in Erwägung gezogene neue Medizin bekam er sehr rasch bei Wikipedia. Dieses Unternehmen war eine Art Lexikon der Neuzeit, und jeder benutzte es«), dann frage ich mich, was hier wieder dahintersteckt. Hatte Lottmann grade Bock auf Präzision?

Hilmar Klute, der humorbeauftragte Holzkopf von der Süddeutschen, brüstete sich Ende Mai in seinem Autorenporträt damit, den Gesamtwitz dieses Buches zu verstehen – wohingegen alle, die es doof finden, für ihn nur haßerfüllte Spaßverderber sind. Das braucht keine Argumente; das genügt sich im Anbeten des Witzgottes. Mit Klute müßte man zugunsten Lottmanns unterstellen, dessen Nachlässigkeiten seien Satire: Jede seiner hingerotzten Journalistenphrasen (»Mekka deutscher Gegenwartskunst«, »genießt Kultstatus«, »Lachsalven«) mache sich über die Journalistenphrasen der anderen lustig, jede schablonenhafte Charakterisierung (»Dieser Mann war außerordentlich intelligent und allwissend«) zeige nur die Schablonenhaftigkeit der dargestellten Charaktere. Aber wenn Lottmann an seinem Personal so wenig interessiert ist, warum soll es dann mich interessieren? »Er trug übrigens den zum Lachen reizenden, absurd selbstbeleidigenden Namen Sebastian Windbeutel«. Ein Autor erfindet einen selbstbeleidigenden Namen, dessen Komik er zur Sicherheit noch einmal betont, damit auch jeder mitkriegt, wie lustig die von ihm erfundene Fiktion ist. Was soll mich hier zum Lachen reizen: der Name Windbeutel oder die sich in den Himmel drehende dialektische Wendeltreppe, auf der Joachim »Alles Absicht« Lottmann einem immer zehn Stufen voraus ist?

Fragen, Fragen, Fragen. Vielleicht wird man dem ziellosen Drauflosformulieren nur gerecht, indem man argumentkarg drauflosrezensiert. Lassen Sie’s mich versuchen: Die Unschärfe in der Beschreibung eines angeblich »linksliberalen Milieus«, in dem die Leute entweder ständig »betroffen« sind oder Edward Snowden gut US-republikanisch einen »Verräter« nennen, nervt mich. Lottmanns Kurbeln an der Platitüdenmühle finde ich langweilig: »In den Zeiten der Mediengesellschaft zählen andere Hierarchien als 1941. Was ist ein Vorstand gegen einen Popstar? Nichts.« Und all die politisch unkorrekten Schmähungen – die »Grünen« als »Pest jeder Gesellschaft«; der »bukowinische Stamm«, dessen Kulturleistung aus »ein paar Häkelmustern und Tanzschritten« besteht; der Spott über die teures Fast Food fressende »Unterschicht«, die »offenbar keine Geldprobleme« hat –, all das habe ich vor fünfzehn, zwanzig Jahren schon hübscher bei Michel Houellebecq gelesen. Ob Lottmann den Zyniker nun spielt oder wirklich einer ist, wen soll das am Ende jucken? Alles ganz anders gemeint oder auch genau so oder auch völlig egal: Selbst an seinen gewollt kontroversen Stellen läßt mich dieses Buch kalt. Kokain stumpft ab; »Endlich Kokain« nicht minder.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella