Humorkritik | Januar 2014

Januar 2014

Hildebrandt ahoi

Weil ich Dieter Hildebrandt nicht auch noch postum mit meiner ewigen Leier kommen wollte, daß Kabarett strukturell unkomisch ist, weil es die Überraschung, die zum Witz gehört, der Erwartung opfert, die das Kabarettpublikum an seinen Kabarettisten hat, daß er nämlich seine, des Publikums, felsenfesten Ansichten bestätigt, habe ich mir den bei Youtube abrufbaren »Scheibenwischer« vom Januar 1982 angesehen, der den Jahrhundertkorruptionsfall des ökonomisch sinnlosen und ökologisch katastrophalen Rhein-Main-Donau-Kanals verhandelte und mit Gerhard Polt und Gisela Schneeberger auch erstklassig besetzt war.

Es ging darin viel um Schecks, falsche Zahlen und die bayerische Staatsregierung (CSU), und wer nicht wußte (oder nicht weiß), wie Politik funktioniert (nämlich mit Schecks und falschen Zahlen), der war (ist) hinterher klüger, und ein wirklich guter Witz über das durchs Altmühltal betonierte Milliardengrab war auch dabei: »Früher haben sie in Hamburg immer gerufen: Schiff ahoi! In Franken werden sie jetzt sagen: Hoi, a Schiff!« Der Rest war Staatsbürgerkunde, wenn auch unterhaltsame, wie es wahrscheinlich ohnehin gesünder ist, Kabarett nicht als genuin komische Form, sondern als politisches Theater aufzufassen, als Schillers »moralische Anstalt«, welche »die weltliche Gerechtigkeit« unterstützt: »Tausend Laster, die jene ungestraft duldet, straft sie; tausend Tugenden, wovon jene schweigt, werden von der Bühne empfohlen.«

Hildebrandt verkörperte die gute alte Zeit, als das linksliberale Bürgertum, statt Windjacken zu tragen und gegen Pumpspeicherwerke zu sein, noch ins Theater ging und der Feind verläßlich rechts stand. Heute erweisen Richard v. Weizsäcker (»Ich war glücklich, daß wir so jemanden haben«) und E. Stoiber (»sein scharfer Witz, seine sprachliche Brillanz waren unnachahmlich«) letzte Ehren, damit den 1982 noch sehr ironischen Satz der Poltschen »Scheibenwischer«-Figur Dr. Schwamm in die Wirklichkeit überführend: »Sie sind zwar ein Roter, aber Schwamm drüber!«

Man mag von Kabarett halten, was man will, aber das des charismatischen Intellektuellen, großen Sympathen und unvergeßlichen Schauspielers Hildebrandt (»Kir Royal«!) hat sich wenigstens nicht oben angebiedert. Heute rennen die Leute zu Dieter Nuhr.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg